Tiefengeothermiepotentiale identifizieren und planerisch sichern
Antrag zum Regionalhaushalt 2023, eingebracht am 24.10.2022.
Ergebnis:
Angenommen im Planungsausschusses am 16.11.2022.
Die Regionalfraktion DIE LINKE/PIRAT beantragt:
- Die Geschäftsstelle wird mit der Identifikation lagegünstiger tiefengeothermischer Energiepotentiale (Erdwärme) im Verbandsgebiet beauftragt. Hierzu ist mit dem Landesforschungszentrum Geothermie (LFZG) der Untersuchungsauftrag für eine Potentialkartierung zu eruieren und auf dieser Basis eine Bewerbung auf EU- sowie Bundes-Fördermittel oder ein Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) zu prüfen.
- Sobald die Kartierung vorliegt, werden identifizierte tiefengeothermische Potentialstandorte mit besonderer Lagegunst im Verbandsgebiet über einen neuen Plansatz als Ziele der Raumordnung im Regionalplan gesichert.
- Die Geschäftsstelle beziffert die notwendigen Haushaltsmittel für den Untersuchungsauftrag und die gegebenenfalls notwendige Komplementärfinanzierung für ein Forschungs- bzw. Modellvorhaben.
Begründung:
Im künftigen erneuerbaren Energiemix von Bund, Land und Region wird ein potentieller erneuerbarer Energieträger bisher weitgehend ignoriert: die Tiefengeothermie, also die Energiegewinnung aus regenerativer Erdwärme. Dabei wird unter der Erdoberfläche verfügbare thermische Energie durch heißes Wasser als Trägermedium über Bohrungen an die Oberfläche befördert und über Wärmetauscher geleitet. Bereits in ein paar Hundert Metern Tiefe werden Wassertemperaturen von 30 bis über 100 Grad Celsius erreicht. Die dabei entzogene Energie wird in ein Wärmenetz übertragen oder in Dampfturbinen zur Stromerzeugung genutzt. Das abgekühlte Thermalwasser wird im Anschluss über die Injektionsbohrung wieder in dieselben geologischen Schichten zurückgeführt.
Dabei müssen unter anderem die Entstehung der Erdwärme sowie der Temperaturverlauf in der Tiefe genau bekannt sein. Erkundungsmethoden, Bohrtechnologie, Kraftwerkstechnik und technisches Know-How sind vorhanden, müssen jedoch noch an spezifische geothermische Fragestellungen und Bedingungen angepasst werden[i].
Tiefengeothermie-Kraftwerke sind im Gegensatz zur fossilen Energienutzung aus Gas-, Kohle- oder Atomstrom größtenteils CO2-frei sowie natur- und landschaftsschonend einzubetten. Nach Abbau der Bohrtürme bleibt an der Oberfläche nur ein kleines Kraftwerk zurück[ii].
Tiefengeothermie kann über Jahrzehnte hinweg stetig Energie ohne Grundlastschwankungen liefern. In Baden-Württemberg bestehen besonders vielversprechende Tiefengeothermieverhältnisse. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Einhaltung bestehender Vorgaben für die sichere Erschließung und Nutzung der Erdwärme, um das Vertrauen der Bevölkerung vor Ort zurückzugewinnen, nachdem es bei unvorsichtigen und teils rechtswidrigen Bohrungen in der Vergangenheit beispielsweise im südbadischen Staufen und in Böblingen zu Gebäudeschäden gekommen war[iii].
In der Bundesrepublik waren Stand Juni 2022 insgesamt 42 Tiefengeothermieanlagen in Betrieb. In Baden-Württemberg haben drei Anlagen eine Betriebsgenehmigung, elf weitere sind momentan geplant oder im Bau[iv]. Die Münchner Stadtwerke betreiben bereits erfolgreich eine Reihe von Tiefengeothermiekraftwerken unter anderem in Riem, Sauerlach, Freiham, Dürrnhaar und Kirchstockach. Ein Projekt im Münchner Westen wurde auf dem Praxisforum Geothermie Bayern als effizienteste geothermische Wärmeanlage 2020 ausgezeichnet[v]. Im Oberrheingraben lief mit dem EU-Projekt GeORG im Rahmen des Interreg IV-Programms Oberrhein von 2008 bis 2012 ein internationales Forschungsprojekt zwischen der Schweiz, Frankreich und Deutschland, in dem wichtige Grundlagenerkenntnisse erarbeitet wurden[vi].
Das Landesministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg hat in einem Positionspapier und einer Roadmap beschlossen, dass die tiefe Geothermie künftig einen deutlich größeren Beitrag zur Energie- und Wärmeversorgung Baden-Württembergs leisten soll als bisher, und begrüßt Bestrebungen, Projekte zur tiefen Geothermie in Baden-Württemberg umzusetzen. Dabei wird auch auf die Erfolge im Münchner Raum verwiesen[vii]. Konkrete Schritte sind allerdings noch nicht geplant.
In Stuttgart haben Stadtverwaltung und Gemeinderat allerdings bereits eine verstärkte Nutzung der Tiefengeothermie ins Auge gefasst, um ihre Ziele umzusetzen, die Fernwärme in Stuttgart bis 2030 zumindest zu 50 % klimaneutral zu erzeugen, bis 2035 dann zu 100 %. Auch sind in Stuttgart weitere Untersuchungen zum Tiefengeothermiepotential geplant, die auch für den Verband Region Stuttgart von Interesse sein dürften und weitere Synergieeffekte bieten.
Die Frage nach der Raumbedeutsamkeit der Tiefengeothermie ist bislang noch nicht eindeutig definiert, da "die Nutzung noch am Anfang ihrer technologischen Entwicklung steht und Auswirkungen bedingt durch die geringe Anzahl bisher installierter Anlagen noch nicht abschließend erfasst sind"[viii]. Hier sind die Regionen selbst aufgefordert, diese im Rahmen von Regional- und Bauleitplanung zu definieren.
Aufgrund der beschriebenen Ausgangslage fordert die Regionalfraktion DIE LINKE/PIRAT eine Studie, um das geothermische Potential der Region Stuttgart zu konkretisieren und damit einen ersten Schritt hin zur Förderung und zum Ausbau der Tiefengeothermie sowie zur Klärung der Raumbedeutsamkeit dieser Form nachhaltiger Energiegewinnung zu vollziehen.
[i] Siehe https://www.lfzg.de/63.php
[ii] Süddeutsche Zeitung, 11.4.2022 (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geothermie-energiewende-heizen-mieter-1.5564926?fbclid=IwAR1iLhY2g3-goWjoZAqHm_80oeTKiWPfmzoP5w7PV1rXN-UayGfqwNuOTsg)
[iii] Siehe Die Zeit, 20.6.2022 (https://www.zeit.de/wissen/2022-06/geothermie-tiefenwaerme-energiewende-faq) oder Stuttgarter Nachrichten, 29.11.2019 (https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.erdhebungen-in-boeblingen-expertise-mit-peinlichen-passagen.d639e43c-9a10-4ad9-8374-35e4e771db38.html)
[iv] Siehe Stuttgarter Zeitung, 1.6.2022 (https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.erdwaerme-wird-die-tiefe-geothermie-zu-wenig-gefoerdert.bd294010-fa63-49b1-b6cc-c5dca3953b4c.html)
[v] Siehe https://www.swm.de/energiewende/oekostrom-erzeugung
[vi] Siehe https://www.geopotenziale.org/home/index_html
[vii] Siehe https://um.baden-wuerttemberg.de/de/energie/erneuerbare-energien/geothermie/road-map-tiefe-geothermie/ sowie https://um.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-um/intern/Dateien/Dokumente/5_Energie/Erneuerbare_Energien/Geothermie/190708_Positionspapier_Geothermie.pdf
[viii] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Erneuerbare Energien: Zukunftsaufgabe der Regionalplanung (2011), S. 52 (https://nachhaltige-beschaffung.fnr.de/fileadmin/nawaro-kommunal/dateien/DL_ErneuerbareEnergien.pdf)