Rede: Haushaltserwiderung, Regionalhaushalt 2024

Rede von Christoph Ozasek in der Regionalversammlung Stuttgart am 25.10.2023 zu TOP 1: Aussprache sowie Anträge zum Entwurf der Haushaltssatzung für das Jahr 2024 mit Haushaltsplan und mittelfristiger Finanzplanung.

Herr Vorsitzender,
werte Kolleg*innen,
sehr geehrter Herr Dr. Lahl,

ein nie da gewesener Hitzesommer hielt die Welt in Atem.

Der Blick in den neuen Klimaatlas zeigt, welche Zukunft den 2,8 Millionen Menschen in unserer Region bevorsteht. Hoch aufgelöste Klimasimulationen offenbaren wahlweise eine 2-Grad-Welt oder eine 3-Grad-Welt, mit all ihren Konsequenzen: lang andauernde Hitzewellen, Dürre, klimawandelbedingte Wetterextreme.

Wer Karten zu lesen weiß, erkennt, wohin uns der irre Glaube an ewiges Wachstum in einer physikalisch begrenzten Welt gebracht hat. Und wer in die Zeitung blickt, erkennt am medialen Horizont den unbezahlbaren Preis des Überkonsums – und erahnt womöglich, dass unsere Region keine einsame Insel ist, die hiervon unberührt bleibt. Wir müssen heute wirksame Antworten geben auf eine Ära der multiplen Krisen, auf ein Weltklima in Not.

Die Bewältigung der Klimakrise entscheidet darüber, ob unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft eine Zukunft haben wird. Unsere Demokratie muss im Hier und Jetzt Handlungsfähigkeit und den Willen zur Transformation beweisen, denn ohne engagierten Klimaschutz, vorsorgende Klimaanpassung, und wirtschaftliche Transformation wird „Krise“ der bestimmende Begriff der Zukunft.

Wir benötigen Pioniergeist in Sachen nachhaltiger und klimagerechter Raumentwicklung, die aktive Transformation verwundbarer Räume, der Schutz der Menschen vor Multigefahren und die Förderung der Ökosystemleistung unseres Naturhaushalts.

Meine Fraktion will eine zukunftsresiliente Region gestalten, die heute die richtigen Antworten gibt auf die Herausforderungen von morgen, für ein lebenswertes Übermorgen.
Wasser ist die kritischste Ressource des 21. Jahrhunderts. Wasser ist der Stoff, aus dem Zukunft gemacht ist. Im Rahmen mehrerer Dialogforen haben WRS und das Digital Water Institute dieses Spannungsfeld ausgeleuchtet.

Unsere Region benötigt eine Wasserstrategie. Diese Ressource muss angesichts zunehmenden Wassermangels nachhaltig bewirtschaftet aber auch präventiv gespeichert werden - beispielsweise in neuen Badeseen. Wir müssen Wassersicherheit herstellen, indem Risikogebiete zu planerischen Fokusräumen werden.

Unser Augenmerk richten wir hierbei auf den Neckar, den wir bislang mit Landschaftsparkprojekten umspielen, an seinem beklagenswerten Zustand hierdurch jedoch wenig verändern.

Wir wollen gemeinsam mit dem Land, den Land- und Stadtkreisen sowie den Anrainerkommunen eine "Rivermap Neckaroffensive 2035“ initiieren, mit dem Ziel, bis zum Jahr 2035 eine unbedenkliche Badegewässerqualität entlang des Flusses herzustellen. Dieses regionalbedeutsame Zukunftsprojekt hat identitätsbildenden Charakter, und verheißt ein starkes Zukunftsversprechen wie der Emscher Park, oder gegenwärtig in Paris, wo das 100-jährige Badeverbot in der Seine bald Geschichte sein wird.

Flussregion werden, und die angrenzenden Räume resilient gegenüber klimawandelbedingten Multigefahren wie Hochwasser und Starkregen zu machen, ist essentiell. Genauso wie die Öffnung des Flusses für Neckarpioniere, die eingeladen werden, sich den Fluss anzueignen, ihn niederschwellig und experimentell gestalten zu dürfen. Der Neckar soll eine Flusslandschaft werden, die Mensch, Tier und Natur gleichermaßen dient.

Angesichts der völlig unzureichenden Fortschritte im regionalen Klimaschutz schlägt meine Fraktion vier Instrumente vor:

  • 1. Eine regionale CO2-Kompensationsstrategie: Sie ist dringend erforderlich, um zyklisches Bauen zu ermöglichen, und den Klimariesen „Bauwirtschaft“ zu bändigen. Dieses strategische Instrument soll dazu beitragen, die Bauwende und die Transformation der Bauwirtschaft zu unterstützen, indem klimaschädliche Emissionen und Kompensationsbedarfe ermittelt werden. Statt Investitionen in unwirksamen Ablasshandel wie Wiederaufforstungsprojekte im globalen Süden wollen wir eine Kompensationspraxis mit Mehrwert – hier in unserer Region.
  • 2. Wir nehmen die Empfehlung des Umweltbundesamts sehr ernst, Klimafolgekosten mit einem CO2-Schattenpreis zu beziffern, um den Klimarucksack von Infrastrukturen in die Wirtschaftlichkeitsbewertung transparent einzubeziehen. Konkret: Bei der Fortschreibung des Regionalverkehrsplans. Stahlbeton- und Tunnelbauwahn muss der Vergangenheit angehören, damit wir nicht an der CO2-Last des Bauens die Zukunft opfern.
  • 3. Die Versiegelung von fruchtbarsten Löss-Böden zur Wohnraumbereitstellung und wirtschaftlichen Transformation ist ein ungelöster Zielkonflikt. Meine Fraktion hat den Mut zu kompakter Dichte, zu mehr Urbanität. Wir wollen so den Wachstumsdruck von unserem Freiland nehmen. Mit einer maßvollen Erhöhung der Bruttowohndichtewerte entsprechend des Volksantrags „Ländle leben lassen“ können wir Kommunen an eine soziale, ökologische und ökonomische Baupraxis heranführen – denn die Ära des Einfamilienhauses muss enden.
  • 4. Eine Mobilitätskulturrevolution in der Autoregion tut Not. Mobilität für alle mit einem möglichst leichten ökologischen Rucksack ist unser Ziel.


Wir wollen RadRegion werden. Aufsatteln fürs Klima ist angesagt, denn kein Verkehrsmittel ist umweltfreundlicher und sozialer als das Zweirad.

Mit einem regionsweiten Radverkehrskonzept am Beispiel des Regionalverbands Braunschweig, soll ein hochwertiges und leistungsfähiges Radnetz ausgerollt und an Mobilitätsknotenpunkten Fahrradservices etablieren werden.

Zielgerichtet wollen wir den „Schienenknoten 2040“ umsetzen – und haben hierzu interfraktionell die Ertüchtigung der Panoramabahn sowie vertiefenden Planungen zum Nordkreuz auf die Agenda gesetzt. Die Revitalisierung der ÖPNV-Infrastruktur ist entscheidend für die Resilienz des S-Bahnsystems, und eröffnet die Möglichkeit zur Schaffung schneller und attraktiver Tangentialverbindungen.

Das Sorgenkind S-Bahn selbst würde von einer Störungsstrategie profitieren, um auf Extremwetterereignisse vorbereitet zu sein. Dazu gehören Warnsysteme, zielgerichtete Fahrgastinformation und schnelle Entstörungsmaßnahmen bei Linienausfall. Hierzu liegt ein Vorschlag meiner Fraktion auf dem Tisch.

Ein großes Ärgernis ist für uns der Zustand am Airport-Busterminal. Die schlechte Erreichbarkeit von Bus- und Stadtbahnanbindungen ist ein akutes Problem, das an der Mobilitätsdrehscheibe dringend korrigiert werden muss.

Schließlich schlagen wir vor, ein "Soziales Deutschland-Ticket" zum halben Preis für Empfänger von Transferleistungen einzuführen, um die Teilhabe für geringer Verdienende zu gewährleisten – wie es die Stadt Stuttgart jüngst für über 110.000 armutsgefährdete Menschen beschlossen hat. Absolut notwendig, denn die Tariferhöhungen im VVS von in Summe 12,4 % haben viele Haushalte in der Region mit voller Wucht getroffen.

Kulturelle Teilhabe und der Erhalt des kulturellen und sportlichen Angebots in unserer Region sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und für das demokratische Immunsystem, um das wir uns alle sorgen sollten: daher sollten die Zuwendungen für die Arbeit von Kultur- und SportRegion erhöht werden.

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um der Geschäftsstelle, namentlich Herrn Mattlinger, unseren Dank für ihre herausragende Vorarbeit auszusprechen. Wir freuen uns auf gute Diskussionen in den Fachausschüssen, und hoffen auf weitsichtige Entscheidungen.

Vielen Dank.