Rede zur Haushaltserwiderung 2018

Rede von Christoph Ozasek zur Haushaltseinbringung in der Regionalversammlung Stuttgart am 25.10.2017

Rede zum Haushalt 2018

Christoph Ozasek, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE

25.10.17

„Wenn ich mir vorstelle, dass 95 Prozent aller Kinder, die noch nicht geboren sind, in eine Welt entlassen werden, wo sie Elend, Krieg, Zerstörung ausgesetzt sind - das bricht mir das Herz. (…) Man ist eigentlich nur noch Chronist eines Untergangs.“
 
Herr Vorsitzender,
Frau Dr. Schelling,
werte Kolleginnen und Kollegen,
 
diese eindringlichen Worte sprach dieser Tage der führende deutsche Klimawissenschaftler Prof. Schellnhuber, oberster Nachhaltigkeitsberater der Bundesregierung und Impulsgeber der globalen Klimaschutzagenda.

Das Fundament eines gesunden Ökosystems bröckelt: Die fortschreitende Schädigung der Biosphäre, des Klimasystems und der Ozeane, der Raubbau an endlichen Ressourcen. Wir alle wissen, das Zeitfenster um das Steuer herumzureißen schließt sich in wenigen Jahren.
 
Werte Kolleginnen und Kollegen,
Sind wir unfähig zu erkennen, dass aus planetaren Grenzen zwingend regionale Grenzen des Wachstums abzuleiten sind? Und nicht der Eispanzer an den Polen, sondern die Ressourcenintensität der Lebensstile auf ein verträgliches Maß abgeschmolzen werden müssen?

Für DIE LINKE steht fest: Alles gehört auf den Prüfstand, das Einfamilienhäuschen auf der grünen Wiese ebenso wie Großkonzerne namens Daimler und Porsche. Von der Raumordnung, bis hin zum Mobilitäts- und Konsumverhalten der Menschen muss die Frage formuliert sein: Was macht die Region zukunftsfähig?
 
Meine Fraktion fordert einen mutigen Einstieg in eine Regionale Energie- und Klimschutzstrategie. Beginnend mit einer Allianz für Klimaschutz, als übergeordneter Plattform zur Steuerung notwendiger Transformationsprozesse.

Hierzu wollen wir in Zusammenarbeit mit den Kommunen regionale Leuchtturmvorhaben anstoßen:


1. Besonders innovativ ist das regionale Wärmekataster. Es muss planerischer Ausgangspunkt für die ökologische Wärmewende in der Region sein. Klimazerstörerische Energieträger müssen solaren und regenerativen Energien weichen.

2. Ein Virtuelles Kraftwerk Region Stuttgart - nun Gegenstand einer Veranstaltung im „Treffpunkt Klimaschutz“ - soll eine neue Dynamik bei der Einbettung von Speichertechnologien und Erneuerbaren Energien in die Versorgungsnetze auslösen.

3. Wir wollen dem umweltfreundlichsten, gesündesten und sozialsten Verkehrsmittel zu einer festen Größe im regionalen Mobilitätsmix verhelfen: Dem Fahrrad. Dazu bedarf es einer regionalen Radmobilitätsoffensive, und der Übertragung gesetzlicher Kompetenzen zur Umsetzung von Radschnellwegen auf den Verband Region Stuttgart.

4. Wir beantragen - aufbauend auf dem neuen Car-Sharing-Gesetz und in Verbindung mit der Polygo-Karte - eine regionale Strategie für ein interkommunales, stationäres Car-/ und Vehicle-Sharing.
 
Mit den letztgenannten Leuchtturmvorhaben knüpfen wir an die von der Landesregierung in Auftrag gegebene Studie „Mobiles Baden-Württemberg - Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität“ an. Sie zeigt erstmals schlüssig die notwendigen Transformationsschritte auf.

Der entscheidende Fakt: Die Zahl der Autos muss bis 2050 um 85 Prozent sinken -  andernfalls scheitern die sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsziele im Südwesten.
 
Der Übergang zu dieser neuen Mobilitätskultur bedeutet: Alle Anreize zur Zersiedelung werden beseitigt, Städte nach dem Prinzip der kurzen Wege konzipiert. Nahmobilität und Nahversorgung, Lebensqualität im Quartier, und eine integrierte Planung stehen im Fokus. Anstelle des Autoverkehrs treten flexible öffentliche Mobilitätssysteme, vollständig klimaneutral ausgestaltet, und für alle nutz- und bezahlbar. Fußgänger und Radverkehr prägen die Mobilität in den Städten. Denn das Verkehrsgeschehen wird unter den Prämissen: Erreichbarkeit, Menschenfreundlichkeit und Gesundheit neu geordnet.

Ich weiß, das verunsichert nun viele von ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie stellen sich die Frage: „Ja heiligs' Bleche! Wo bleibt denn da mein Auto!"
Aber glauben Sie mir, es gibt ein gutes Leben jenseits der Windschutzscheibe. Diese Zukunft bringt ihnen und allen mehr Lebensqualität und mehr Wohlbefinden.
Aber für diesen Wandel hin zu einer nachhaltigen Mobilitätskultur müssen die Voraussetzungen stimmen, damit die Abschaffung des eigenen Autos nicht als Verlust, sondern als Befreiung erlebbar wird.
 
Zweite Säule der neuen Mobilitätskultur ist ein leistungsfähiges ÖPNV-Angebot. DIE LINKE fordert die Reaktivierung der Tangentialstrecken Panorama- und Schusterbahn als sinnvolle Ergänzung zum sternförmigen S-Bahnnetz. Lange haben wir gebohrt, bis die Denkverbote endlich überwunden wurden - und sehen gespannt der Debatte in den kommenden Monaten entgegen.

Auch neue Schienenäste dürfen kein Tabu sein. Zusammen mit den Kolleg_innen der FDP-Fraktion beantragen wir den S-Bahn-Ringschluss von den Fildern ins Neckartal vertieft zu betrachten und zügig zu einer Entscheidung zu gelangen.
 
Wir schlagen darüber hinaus eine Aktualisierung der Potential-Studie „Zukunft des Schienenverkehrs in der Region Stuttgart“ vor, die auch mögliche Bus-Rapid-Transit-Strecken (BRT) berücksichtigt. Und natürlich rücken wir von unserer Forderung nach einem regionalen Sozialticket nicht ab!

Während die Expansionsbestrebungen der regionalen Wirtschaft immer mehr hochwertigen Boden aufzehren, setzt DIE LINKE auf nachhaltiges Gewerbeflächenmanagement. Eine Studie in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Urbanistik soll Wege aufzeigen, um Gewerbe- und Industriegebiete zu qualifizieren und zu revitalisieren. Das stärkt zudem die örtlichen Siedlungsstrukturen, bindet Wertschöpfung und Arbeitsplätze.
 
Doch wir denken wie immer über die Tagespolitik hinaus.
In das globale Wirtschaftssystem werden jede Sekunde Rohstoffe in einer Menge eingespeist, die etwa der Ladung von einhundert LKWs entspricht, jährlich 90 Milliarden Tonnen an Rohstoffen. Durch die Globalisierung entfernen sich dabei die Orte des zerstörerischen Rohstoffabbaus und der Herstellung von Produkten zunehmend von jenen des Konsums in den Industriestaaten. Deshalb fordern wir eine regionale Ressourcenstrategie.
 
Denn das Fundament unseres Wohlstands liegt in der Infrastruktur. Infrastrukturen sind Ressourcenspeicher und sollten „ressourcenleicht“ sein - also sparsam und zurückführbar in nachhaltige Stoffkreisläufe. Dazu sollen innovative Projekte und kommunale Konzepte mit einem eigenen Förderprogramm unterstützt werden. Vom urbanen Holzbau bis zum Einsatz von Recyclingbeton, von innovativen Dorf- und Stadtquartieren der kurzen Wege bis hin zu Kampagnen zur Förderung von Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein.

Doch auch die wichtigste Ressource liegt uns LINKEN am Herzen:
Im Gegensatz zu den anderen Fraktionen, die den Strukturumbau der Verbandsgeschäftsstelle hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der Ausweitung der Machtsphäre des Vorsitzenden betrachten, sorgt sich DIE LINKE um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Im Zuge der Stellenplanberatungen muss die Frage erörtert werden, welche Bedarfe die Direktoren haben, um das Aufgabenpensum zu erfüllen, das wir als Regionalversammlung ihnen auferlegen. Und zwar ohne Raubbau an der Gesundheit unserer Mitarbeiter_innen zu betreiben.
 
Wir freuen uns auf die anstehenden Beratungen und die vielen guten Ideen aus den Reihen Ihrer Fraktionen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.