Rede zur Haushaltseinbringung 2022

Rede von Regionalrat Christoph Ozasek in der Regionalversammlung Stuttgart am 20.10.2021 zu TOP 1: Aussprache sowie Anträge zum Entwurf der Haushaltssatzung für das Jahr 2022 mit Haushaltsplan und mittelfristiger Finanzplanung


Herr Vorsitzender,

werte Kolleg*innen,


mit verheerender Wucht trifft die Jahrhundertflut das malerische Ahrtal. Viele Tote sind zu beklagen. Von der einstigen Idylle bleibt wenig zurück: Gebäude, Versorgungsinfrastruktur, Straßen- und Schienenwege sind zerstört. 30 Milliarden Euro wird die Bundesregierung Wiederaufbauhilfe nach der Katastrophe leisten. 30 Milliarden, die besser in Klimaschutz und vorsorgende Klimaanpassung investiert worden wären.

Zwei Wochen früher überflutet extremer Starkregen die Stuttgarter Innenstadt. Das Kanalnetz kommt erwartungsgemäß an seine Kapazitätsgrenze. Straßentunnels, Unterführungen, Passagen und kritische Geländesenken nehmen die Wassermassen auf.

Dank kommunalem Starkregenmanagement sind die Schäden an der technischen Infrastruktur beherrschbar. Schwerwiegender ist der irreparable Schaden an den Bäumen, die künftig die Folgen sommerlicher Hitzewellen eindämmen sollten. Über 2.700 Stadtbäume sind teils erheblich geschädigt oder mussten gefällt werden.

Die Klimakrise ist nichts Abstraktes. Sie nimmt Deutschland nicht von ihren katastrophalen Folgen aus. Wir befinden uns in der Frühphase. Intensität und Frequenz von Extremwetter, Dürre und Hitzewellen werden rasant anwachsen.

Aktuelle Ereignisse haben eindrücklich aufgezeigt, dass die Region auf die Klimakrise und deren multiple Risiken unzureichend gerüstet ist. Angesichts der erdrückenden Forschungslage von IPCC, DWD und Landesumweltamt beantragt DIE LINKE/PIRAT erneut ein vorsorgendes Klima-Risikomanagement. Die Klimaresilienz muss im Zentrum einer strategischen Fortschreibung des Regionalplans stehen. Klimagerechtes Planen und Bauen ist jetzt Gebot der Stunde.                                                       

Dabei lässt sich Natur- und Hochwasserschutz mit einem Zuwachs an Lebensqualität für die Menschen verweben. Zahlreiche Landschaftsparkprojekte entlang der Flüsse und Bachläufe zeigen diesen multifunktionalen Ansatz auf.

Angesichts der sommerlichen Hitzewellen und als Rückschluss aus der Corona-Pandemie beantragt meine Fraktion eine Badegewässer-Strategie für die Region. Denn wir sind ein Mangelgebiet und die wenigen Badestellen heillos überrannt.

Im Wege einer Potenzialraumanalyse könnten zusätzliche Badegewässer entstehen, beispielsweise durch Renaturierung aufgeschlossener Kieswerke. Oder entlang der Flussläufe, zur Starkregen- und Hochwasserprävention auf kritischen, bislang bebauten Flächen. Denn klimagerechte Stadtplanung muss kompakt und wassersensibel sein, und darf nicht länger autoabhängige Einfamilienhaussiedlungen hervorbringen.

Vor allem gilt es, Freiräume vor Bebauung zu schützen - eine Herausforderung, die zeitnah in Leitplanken des klimasensiblen Planens übersetzt werden muss. Was die Bürger*innen von Dettingen uns ins Stammbuch geschrieben haben, sollte endlich Gehör finden: Finger weg vom regionalen Grünzug!

Meine Fraktion will stattdessen einen Förderhorizont zur Gewerbegebietsqualifizierung. Die Studie „Urban Sandwich“ und der Diskurs im Zuge der IBA zeigen auf: Alles was wir für den ökonomischen Strukturwandel benötigen, lässt sich aus dem Bestand gewinnen. Kluge Raumplanung setzt auf qualitätsvolle Funktionsmischung, nicht auf Landverschleiß.

Denn der Bodenschutz ist essenziell. Böden ernähren uns, haben vielfältige Funktionen im Wasserhaushalt und Klimasystem. Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie fragil eine auf globale Lieferketten ausgerichtete Wirtschaft ist, und wie essentiell die regionale und ökologische Lebensmittelerzeugung. Weltweit hungert jeder 10. Mensch - und wir stehen erst am Beginn einer Klimawandel-bedingten globalen Hungerkrise.

DIE LINKE/PIRAT regt daher einen Cluster-Report Landwirtschaft an. Denn Autobauer füllen nur die Taschen der Aktionäre mit Geld, das man nicht essen kann. Die Bauern hingegen füllen die Mägen der Menschen.

Apropos Automobile: Weder die Batterietechnologie noch die Brennstoffzelle machen sie zukunftstauglich. Um gesellschaftlich in eine sanfte und nachhaltige Mobilitätskultur hineinzuwachsen, gilt es, den öffentlichen Transport den Bedürfnissen der Menschen anzupassen.

Mit unserem Antrag zu einer regionalen On-Demand-Koordination wollen wir die Integration von digital gestützten Ridesharing-Angeboten in unsere Mobilitätsplattform Polygo voranbringen. On-Demand-Mobilität ist ein notwendiger Evolutionsschritt, um im Stadt-Umland-Gefüge bedarfsgerechte und demografiesichere Teilhabe zu ermöglichen.

Nicht das im Autoland Deutschland jährlich um 10.000 Kilometer anwachsende Straßennetz, sondern den Schienenverkehr gilt es auszubauen. Die Panoramabahn zukunftstauglich zu machen ist Ziel eines interfraktionellen Antrags. Ergänzen will ich an dieser Stelle, dass die Amputation der Gäubahnverbindung zum Hauptbahnhof ein historischer Fehler ist. Ich kann nur an die Vernunft appellieren, die Fahrgäste nicht im Nirvana stranden zu lassen!

Einen Schub wünschen wir uns auch auf der Teckbahn. Herr Dr. Wurmthaler, hier sollten wir zügig den 30-Minuten-Takt realisieren und Wege zur Reaktivierung der Gütergleisanschlüsse aufzeigen, um die hochbelasteten B465 zu entlasten und eine attraktive Bahnverbindung herzustellen.

Angesichts der dramatisch eingebrochenen Nutzerzahlen im VVS ist die gegen unseren Protest beschlossene Tariferhöhung völlig kontraproduktiv und unsozial. Dem Klima ist damit nicht gedient, und die positiven Effekte der Tarifzonenreform schwinden dahin.

Mit etwas Geduld und dem Mobilitätspass hätte dieses Negativcampaigning für Bus&Bahn vermieden werden können. Wir hoffen sehr auf einen Durchbruch beim anstehenden VVS-Tarifsymposium, insbesondere beim einheitlichen 365-Euro-Jugendticket und der Bindung der Kunden mittels einer „Schwabenprämie“, die Abo-Treue belohnt.

Neu von uns eingebracht ist der Antrag zum „VVS-Mieterticket“. In einer engen Partnerschaft zwischen Wohnungswirtschaft und dem Verkehrsverbund wollen wir Anreize für ein Mietermobilitätsmanagement geben, von dem alle Seiten profitieren. Die Wohnungswirtschaft als strategische Abo-Vertriebspartnerin zu gewinnen stärkt den notwendigen Transformationsprozess zu autoarmen, klimagerechten Quartieren mit hoher Wohnumfeldqualität.

Werte Kolleg*innen, die WRS hat uns vorgerechnet: würde man die realen Klimakosten einpreisen, die Freisetzung von einer Tonne CO2 hätte den gigantischen Preis von 2.500 Euro. Wir alle sind gefordert, unsere Entscheidungen unter der Prämisse der Klimagerechtigkeit zu treffen. Entschlossenes Handeln für die Verkehrswende, für die Bauwende, für den Schutz unserer Böden ist der Schlüssel zu einer gerechten Zukunft.

In diesem Sinne hoffen wir auf kluge Beschlüsse in den anstehenden Beratungen.