Rede zur Haushaltseinbringung 2016

Rede von Christoph Ozasek zur Einbringung des Haushalts 2016 in der Regionalversammlung Stuttgart am 21.10.2015


Herr Vorsitzender,
werte Kolleginnen und Kollegen,


eine „smarte Region“, eine Region, die „neue Technologien gezielt implementiert“, Taktgeberin ist für Innovationsprozesse. Mit ihrem Leitbild einer „vernetzten, mobilen, sicheren und nachhaltigen“ Region stehen Sie gewiss nicht allein, Frau Dr. Schelling. Sie werden in der Antragssammlung unserer Fraktion viele entsprechende Impulse entdecken.

Vernetzte, innovative Mobilität zu fördern, diese Strategie nimmt Form an. Von der Individualmotorisierung, hin zur bedarfsgerechten, umweltschonenden Mobilität. Mit Polygo ist ein großer Schritt zur nutzerfreundlichen Verkehrsträgervernetzung getan, genau so, wie es DIE LINKE bereits 2009 in einem Antrag formuliert hat. Das fragmentarische Angebot von Mobilitätsdienstleistern weicht einer niederschwelligen Vernetzung der Angebote.

Die Herstellung intermodaler, barrierefreier Verkehrsknoten erfordert nun einen konsequenten Strukturumbau: Mobilitätspunkte, die Schiene, Nahverkehr, Carsharing, Radverkehr und weitere Bausteine öffentlicher Mobilität verbinden, auch im ländlichen Raum. Mit RegioWIN sind wir hier auf einem guten Weg, um auf der Grundlage des Leitbildprozesses für die Wirtschafts- und Wissenschaftsregion entsprechende Pilotprojekte anzupacken. Mit der Zuständigkeitsübertragung für die P+R-Anlagen kommt ein weiterer Baustein in unsere Aufgabenträgerschaft. Optimale Voraussetzungen also, um den beschrittenen Pfad zu vertiefen und die planerische Sicherung von Flächen für die Intermodalität erneut zu diskutieren.

Doch auch im VVS-Tarifsystem sieht unsere Fraktion dringenden Handlungsbedarf und hält die Forderung nach Einführung eines einheitlichen VVS-Sozialtickets weiterhin aufrecht, wie es nun aufgrund von Initiativen der LINKEN und der SPD in allen Landkreisen der Region diskutiert wird, und in der Stadt Stuttgart bereits mit den Stimmen aller Parteien im Rat erfolgreich etabliert ist. Die Argumente der Kritiker, insbesondere der Landräte, zeigen - angesichts der wachsenden Zahl armutsgefährdeter Menschen - eine erschreckende Ferne zur Lebensrealität. Zwar beweist die Vielzahl bestehender bzw. geplanter lokaler Lösungen, dass die guten Argumente nicht ungehört bleiben, doch entsteht - ohne eine Lösung im Verbund - ein Flickenteppich, der den Mobilitätsbedürfnissen einkommensarmer Menschen nicht gerecht 
wird und der Zielsetzung einer einheitlichen Tarifierung entgegenläuft.

Auch eine Reihe weiterer Anträge, wie zur Einführung eines am Studi- und Firmenticket orientierten VVS-Azubi-Tickets, einer fahrgastfreundlichen Handhabe von Umwegverbindungen und der Einführung des Metropoltickets als Zeitkarte orientieren sich am Prinzip „mehr Fairness und Nutzerfreundlichkeit im VVS“.

Um die Folgen verkehrspolitischer Entscheidungen ganzheitlich beurteilen zu können fordert DIE LINKE eine Verkehrsstromanalyse, um die oft weit über den Einzugsbereich eines einzelnen Verkehrs- und ÖPNV-Projekts hinausreichenden Auswirkungen im Gesamtnetz darstellen und beurteilen zu können.

Ganz im Sinne des Leitbilds einer vernetzten Region, steht unser Antrag zur Anwendung des Freifunk-Prinzips zur bereits beschlossenen Ausstattung der S-Bahnen mit WLAN. Der Verein Freifunk e.V. bietet an, Region und VVS bei der Implementierung einer technisch innovativen Lösung zu unterstützen, die im Gegensatz zu kommerziellen Anbietern insbesondere auch von Touristen barrierefrei, schnell und unkompliziert genutzt werden kann, die Privatsphäre wahrt und kostengünstig zu betreiben wäre.

Werte Kolleginnen und Kollegen, manch Architekt kühner Ideen sinniert poetisch von filigranen Kelchstützen, welche die im Entstehen begriffene Prunkhalle angeblich zu tragen vermögen, scheitert jedoch schon am Fundament und hält bis heute keine Baufreigabe in Händen. Was Herrn Ingenhoven nun ereilt war absehbar, hätte man Frei Otto - den bedeutendsten Experten in Sachen Leichtbau und Tragwerksplanung - ernst genommen, der schon 2011 angesichts der besonderen Komplexität des Bauens in feuchtem Grund an der engsten Stelle des Nesenbachtals auf Distanz zum Projekt ging. Bis heute ist Stuttgart 21 ein Luftschloss, das allein von unzähligen Sondergenehmigungen getragen wird. Nun zahlt die Region die vorletzte Rate von 12,5 Mio. Euro, und will ab 2018 für die gescheiterte Antragsplanung auf den Fildern für weitere Jahre tief in die Tasche greifen. Aus unserer Sicht völlig inakzeptabel.

„Innovationsregion“, Frau Dr. Schelling, ist die Region schon heute. Ausgezeichnete Kennziffern bei F&E-Aktivitäten, eine überdurchschnittliche Patentdichte und eine hervorragende Wissenschaftslandschaft. Doch ist es gut um den Wirtschaftsstandort bestimmt? Ein Blick in den Regionalstrukturbericht zeigt: Der Maschinenbau verliert sukzessive an Bedeutung; der „Automotive-Cluster“ boomt – was die Anfälligkeit gegenüber globalen Krisen erhöht und das Wertschöpfungsungleichgewicht im produzierenden Sektor noch verschärft; zuletzt ein wachsender Dienstleistungssektor, in dem prekäre Beschäftigung immer mehr Menschen unter die Grundsicherungsgrenze drückt.

Die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft hängt mit Gedeih und Verderb an der Nachfrage nach klimaschädigenden, PS-protzenden SUVs. Wir schlagen hingegen als Innovationsimpuls vor, das Forschungs- und Anwendungsfeld des„Re-Design“ auf die wirtschaftspolitische Agenda zu rücken. Mit dem Konzept „Cradle-to-Cradle“ – unter anderem präsentiert auf dem Immobiliendialog 2015- entstehen bereits heute innovative Produktdesigns, die ökologische Stoffkreisläufe adaptieren. „Klug werden“, um das Motto des Kirchentags ins Bewusstsein zu rufen, bedeutet so mit Ressourcen zu haushalten, wie die Natur es perfektioniert hat.

Mit den Windenergievorranggebieten nimmt die Energiewende an Fahrt auf. Zu zögerlich, wie wir meinen, aber doch ein Fortschritt. Auch hofften wir, dass die im Rahmen der Windenergie- Debatte in den Reihen von CDU, FDP und AfD entflammte Liebe zum Tier-, Natur- und Umweltschutz nun zu ebenso leidenschaftlicher Ablehnung der völlig realitätsfremden Straßenbauprojekte im Zuge der Regionalverkehrsplanfortschreibung führt, sind jedoch in der Diskussion um den Ausbau der Fernstraßen enttäuscht worden.

Nachsitzen in Sachen Nachhaltigkeit ist deshalb angesagt. Dazu passt eine Debatte um ein regionales Energie- und Klimaschutzkonzept. Angelehnt an das preisgekrönte "Kooperationsnetzwerk Neckar-Alb“ erneuern wir die Forderung nach einem Virtuellen Kraftwerk in der Region, zur Gestaltung der Energiewende. Hier kann die Wirtschaftsförderung Impulsgeberin für ökologische Wertschöpfung sein.

Ein besonderer Schwerpunkt ist uns die demografische Entwicklung. Im Gegensatz zum bisher prognostizierten Rückgang nimmt die Bevölkerung der Region zu. Besonders stark steigt die Zahl der Senioren und hochbetagter Menschen, die zu den besonders armutsgefährdeten Personengruppen zählen. Dazu kommt angesichts stetiger Preisschübe am Mietwohnungsmarkt ein wachsender Bedarf nach gebundenen Wohnungen. Flächenfraß kann jedoch nicht die Antwort sein. Soziale und ökologische Lösungen sind gefragt, wie höhere Siedlungsdichten im ländlichen Raum, in Verbindung mit sozialer Wohnbauaktivität und demografiegerechten Versorgungsstrukturen. Dazu muss der Diskussionsprozess um die MORO Daseinsvorsorge vertieft werden.

Die Integration von Flüchtlingen, in hohem Maße Träger von Wissen und Fachkompetenz und überdurchschnittlich leistungsbereit, ist eine vordringliche Aufgabe. Hierzu regen wir Aktivitäten für Beschäftigung und Qualifizierung an, und sehen auch die SportRegion als mögliche Impulsgeberin.

Abschließend ein paar Worte zur Debatte um eine Internationale Bauausstellung. Dieses Vorhaben kann wegweisende Impulse geben. Doch darf mit Verweis auf das Rosensteinviertel keine Prämisse zementiert werden, solange nicht geklärt ist, ob das Gleisvorfeld angesichts der völlig unzureichenden Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs zur Verfügung steht, ob angesichts der demografischen Prognose dieser Stadtteil zu gegebener Zeit überhaupt notwendig ist und welche stadtklimatischen Erfordernisse zwingend zu beachten sind. Deshalb hat sich unsere Fraktion der interfraktionellen Initiative nicht angeschlossen.

Wir hoffen auf innovative Impulse aus den Fraktionen und freuen uns auf gute Beratungen. Vielen Dank.