Rede: Wohnflächenentwicklung in der Region

Rede von Christoph Ozasek zu TOP 1: "Wohnflächenentwicklung in der Region" in der Regionalversammlung Stuttgart am 20.07.2016

Rede von Christoph Ozasek in der Regionalversammlung Stuttgart am 20.07.2016

zu TOP 1: Wohnflächenentwicklung in der Region


Herr Vorsitzender,


werte Kolleginnen und Kollegen,


die Region Stuttgart ist ein Magnet für Menschen. Die gute Arbeitsmarktlage, die differenzierte Hochschullandschaft, ein vielseitiges Kultur- und Freizeitangebot, das sind Anreize, die Städte der Region als Lebensmittelpunkt zu wählen. Doch Migration erklärt sich nicht allein über harte oder weiche Standortfaktoren.
Die Region profitiert von einem Zustrom junger, gut ausgebildeter Fachkräfte aus strukturarmen Räumen in Südeuropa, die von der europäischen Austeritätspolitik nachhaltig geschwächt wurden.


Diese Wirtschaftsflüchtlinge machen einen Anteil von 89 % der Zugezogenen aus. Sie suchen hier ein besseres Leben und eine Existenz. Hinzu kommt, dass die Region ein sicherer Hafen für die von Krieg und wirtschaftlicher Not Betroffenen ist, die nicht mehr besitzen als das, was sie tragen können. Weder Grenzzäune noch Mauern halten diesem Elend stand.


Die Diskussion um die Wohnflächenbereitstellung für diese Menschen wurde im vergangenen Halbjahr durch die Arbeit von Herrn Kiwitt und seinem Team versachlicht. Fazit: Die Region ist für die Herausforderung gewappnet. Dem Bevölkerungszuwachs von 130.000 Menschen bis 2030 steht Bauland für 141.000 Menschen gegenüber. Die Orientierung auf die Entwicklungsachsen und die Ausweisung regionaler Wohnungsbauschwerpunkte, das sind Grundlagen unserer Raumordnung, um dezentrale Wohnplätze mit umweltfreundlicher Mobilität auf der Schiene zu verknüpfen. Und in den acht Schwerpunkten mit Problemstellungen werden sich im Dialog mit den Gemeinden Lösungen finden.


Dabei kann auch das regionale Kompensationsflächenmanagement einen Beitrag leisten, für das der Planungsausschuss auf Antrag der LINKEN den Weg geebnet hat. Wir begrüßen ausserdem das vorgeschlagene Anreizmodell der Verbandsverwaltung, über die Ko-Finanzierungsmodelle den Gemeinden, die diese wichtige Aufgabe stemmen, entgegenzukommen.


Eines ist klar, die Urbanisierung des Verflechtungsraums muss voranschreiten - allerdings nicht durch Flächenwachstum. Ohne höhere Bruttowohndichten durch qualitätsvolle Bauleitplanung geht es nicht, auch um effiziente Siedlungsstrukturen für die Zukunft zu entwickeln, Infrastrukturkosten zu senken und die endliche Ressource Boden und das Klima zu schützen. Diese Notwendigkeit zur Innenentwicklung, Innenverdichtung und Flächenkonversion ist in den Rathäusern verstanden und verinnerlicht worden.


Reine Wohnplätze zu entwickeln reicht aber nicht aus: 75 % der Menschen arbeiten nicht in ihrer Wohngemeinde, deshalb sind funktional durchmischte Quartiere und Versorgungsstrukturen vor Ort entscheidend zur Bewältigung der Verkehrsprobleme. Eine „Region der kurzen Wege“, auf dieses Ziel muss die Politik hinwirken.

Städte waren immer Integrationsmaschinen und sind es bis heute. Besonders gefordert ist das Oberzentrum Stuttgart als Hotspot der Zuwanderung. Stuttgart weist schon heute einen völlig überhitzten Wohnungsmarkt aus. Die Spekulation auf rasant steigende Bodenwerte und ins „Betongold“ bringt hohe Renditen. Die Wohnraumversorgung steht vor dem Kollaps, da seit 1992 1/3 des Sozialwohnungsbestands aus der Bindung gefallen ist. Die Stadt ist durch die Wohnbauunternehmen erpressbar, denn die drohen mit der vorzeitigen Ablösung weiterer tausender gebundener Wohnungen.


Zusätzlich drückt eine Welle der Altersarmut in die Hilfesysteme. Reallohnverluste und Prekarisierung betreffen immer mehr Menschen. Ein großflächig subventionierter Wohnungsmarkt bei den aktuellen Mondmieten ist für die Stadt unbezahlbar. Es droht eine soziale Katastrophe.


Wie wird diese Situation beherrschbar?
Die Spekulationsspirale und das Marktversagen kann nur durch eine aktive Bodenpolitik und eine Renaissance des kommunalen Wohnbaus durchbrochen werden. Städte wie Wien zeigen wie es funktionieren kann. Wichtige Instrumente dabei sind kommunale Bodenfonds und die Anwendung von Erbpachtverträgen, um die Bauproduktionskosten zu senken, aber eben auch der Neubau von Gemeindewohnungen mit fairen Mieten.


Flächenfraß ist nicht die Antwort - Flächeneffizienz ist die Lösung!
DIE LINKE schlägt deshalb die Anhebung der Bruttowohndichtewerte vor. Eigenentwicklergemeinden können problemlos eine Dichte von 70 EW/ha realisieren, Städte wie Stuttgart mit Leichtigkeit 120 EW/ha. Das Kanton Zürich beweist, wie ein Null- Flächenwachstum trotz Bevölkerungszunahme verträglich planerisch umgesetzt werden kann. Gute städtebauliche Lösungen, hohe Wohnqualität und dichtere Bauweise sind kein Widerspruch. Der Stuttgarter Westen macht es vor: Im am dichtesten besiedelten Bezirk Europas herrscht die höchste Zufriedenheit unter den Einwohnern.


Zentrale Herausforderung ist die Sicherstellung der sozialen Durchmischung: Städte wie Stuttgart, München, Freiburg haben dieses Thema mehr oder weniger mutig durch Innenentwicklungsmodelle angepackt, und erzwingen bis zu 50 % geförderten Wohnraum an der Geschossfläche.


Sie nehmen Einfluss auf die zukünftigen Quartiere, und das ist richtig so. Denn Bauträger entwickeln und sanieren am Bedarf vorbei, bauen ohne Druck der Politik nur im privilegierten Hochpreissegment.
Heute liegen Neubauwohnungen im Schnitt bei 109 qm. Spitzenpreise von 15.000 Euro/ qm werden erzielt. Die Immobilienwirtschaft ist leider Teil des Problems, nicht der Lösung.


Unser Fazit lautet: Die Region braucht zukunftsfähige und effiziente Siedlungsstrukturen, keinen Aktionismus und bestimmt keine Einfamilienhäuschen im Grünen. Die Abwendung der Wohnraumkrise gelingt nur, wenn die Kommunen wieder aktiv in die Wohnraumversorgung als wesentliche Aufgabe öffentlicher Daseinsvorsorge einsteigen und die Zügel bei der Regionalplanung straff gehalten werden.


Vielen Dank.