Rede: IBA 2027 StadtRegion Stuttgart - Plattformprozess

Rede von Christoph Ozasek am 7.12.2016 in der Regionalversammlung Stuttgart

Herr Vorsitzender,
werte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr Dr. Rogg,

lässt man den Blick vom begrünten Dach des Weltkulturerbe-Doppelhauses Le Corbusiers in der Weissenhofsiedlung über den Talgrund und die Halbhöhenlage Stuttgarts schweifen, so erkennt man nicht, dass die Stadt für die Herausforderungen im hier und jetzt, und nicht einmal ansatzweise für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet ist. Das IBA-Memorandum ist deshalb eine Chance, das städtebauliche Koordinatensystem neu zu justieren, hin zu einer Stadt nach „menschlichem Maß“ (Jan Gehl).

Denn ästhetisch fragwürdige, beliebige und gesichtslose Monsterbauten prägen die Städte der Region. Immobilienheuschrecken durchkämmen die Quartiere, auf der Suche nach leichter Beute. Die Triebkräfte des Geldes verdrängen immer mehr Menschen aus ihrem angestammten Wohnumfeld, die Spekulation auf Mieten treibt viele Familien in die Armut. Durch trostlose Straßenschneisen quält sich die tägliche Blechlawine, tränkt die Städte in gelben Dunst giftiger Feinstaub- und Stickoxidschwaden. Die Region hängt nicht zuletzt am Tropf fossiler Energien: ohne billiges Öl und Erdgas wären die Städte und Gemeinden nicht lebensfähig. Kurzum: Weder die soziale noch die ökologische Frage ist beantwortet.

Ja, das IBA-Memorandum lässt Hoffnung keimen. Die Verschränkung der Themen mit den sozialen, ökologischen und demokratischen Querschnittsqualitäten skizziert die Vision für bessere Lebensverhältnisse in einer von Vielfalt und Wachstum geprägten Stadtregion. Im Vordergrund der IBA muss die Aktivierung innerstädtischer Flächenpotentiale stehen, die sich aus der Konversion der autogerechten Stadt der 60er Jahre eröffnen. Denn das Automobil ist als technisches System unvereinbar mit urbanen Qualitäten. Hier besteht die Chance, im Sinne einer neuen Mobilitätskultur, aus öder, lebensfeindlicher Verkehrsfläche grüne Lungen, kreative Erlebnis- und soziale Begegnungsräume zu schaffen. Die Entwicklung hin zu resilienten Strukturen, die Integration erneuerbarer Energiesysteme und die Ressourcennutzung in Kreisläufen im Sinne des Konzepts „Cradle-to-Cradle“ müssen als Zukunftsaufgaben angepackt werden. Und die Bereitstellung von Wohnraum für alle Schichten der Bevölkerung als Aufgabe der Solidargemeinschaft.

Wir werben deshalb dafür, dass dieses Memorandum als verbindlicher Kompass für die Bauleitplanung und die Wohnbaustrategien der Gemeinden verstanden wird. Als Bausatz für die schrittweise Transformation bestehender Siedlungsstrukturen. Denn wenn ein präventiver Strukturwandel gelingen soll, dann sind Vorzeigeprojekte und Insellösungen eine Sackgasse.

Doch die IBA muss auch durch raumordnerische Ziele flankiert werden. Die polyzentrische „Stadtregion“, also ein organisch gewachsener, sozial und ökonomisch eng verwobener Lebensraum, ist die richtige Antwort. In dieser Stadtregion muss das Zusammenwachsen von Naturraum und Stadtraum zu Stadtlandschaften gelingen. Hier kann das Landschaftsparkförderprogramm eine wichtige Funktion einnehmen. Aus unserer Sicht ist bei diesem Prozess die Gleichzeitigkeit von Verdichtung, im Sinne qualitätsvoller urbaner Dichte und funktionaler Mischung, und die Auflockerung, im Sinne der Reparatur klimatisch relevanter Luftleitbahnen Voraussetzung für eine zukunftsfähige Entwicklung der Städte unter den Bedingungen des Klimawandels.

Wir sind gespannt auf die ersten Gehversuche der IBA, werden diese kritisch und konstruktiv begleiten und bedanken uns beim Team der WRS für ihren unermüdlichen Einsatz.