Rede: Grundsatzrede zum Haushalt 2019

Christoph Ozasek

Rede in der 22. Regionalversammlung am 24.10.2018

zu TOP 1: Aussprache sowie Anträge zum Entwurf der Haushaltssatzung für das Jahr 2019 mit Haushaltsplan und mittelfristiger Finanzplanung





Sehr geehrte Frau Dr. Schelling,
Herr Vorsitzender,
werte Kolleginnen und Kollegen,

2018 erlebte Europa einen der heißesten Sommer seit der Temperaturaufzeichnung. Dürre ließ im griechischen Attika, in Portugal und Brandenburg ganze Regionen in Flammen aufgehen. Der menschgemachte Klimawandel ist kein abstraktes Phänomen, sondern eine reale und existenzielle Gefahr.
Wissen Sie, wie oft das Wort „Klimaschutz“ im Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2019 auftaucht? Kein einziges Mal.

Der Auftaktprozess für das Regionale Energie- und Klimaschutzkonzept REKLIS ist in Folge allgemeinen Desinteresses völlig zum Erliegen gekommen. Wir fordern erneut, regionale Leuchtturmprojekte für den Klimaschutz und ressourcenleichte Lebensstile zu etablieren. Beginnend mit einer Allianz für Klimaschutz, einer regionalen Mobilitätsoffensive für den Fahrradverkehr, die Koordination der gemarkungsübergreifenden Radschnellwege, der Entwicklung eines Wärmeatlas für die Region als Planungsinstrument für die regenerative Wärmewende, über ein virtuelles Kraftwerk für unsere Region, das erneuerbare Energieerzeugungsanlagen und Speichertechnologien in ein grundlastfähigen Schwarmverbund zusammenführt, bis hin zu einer regionalen Strategie für stationäres vehicle-Sharing unter dem Dach von polygo.

Zum Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen gehört auch die Verteidigung unserer wertvollen Böden vor weiterer Versiegelung. Für die Fraktion DIE LINKE ist klar: Planetare Grenzen müssen zwingend absolute Wachstumsgrenzen für unsere Region zur Konsequenz haben. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung hat dies im übrigen verstanden. Die Zahl der Menschen, die freie Flächen für neue Gewerbegebiete opfern wollen ist auf 38 Prozent gesunken. Die Bereitschaft zur Bebauung freier Flächen mit Wohnungen wird mehrheitlich abgelehnt. Beim Straßenbau liegt die Ablehnung sogar bei 69 Prozent.

Und was macht die Regionalversammlung? Sie verabschiedet einen Regionalverkehrsplan, der immer mehr Naturraum mit Asphalt zu versiegeln droht, treibt im großen Stil Gewerbegebietsentwicklung auf der grünen Wiese voran, sieht mehrheitlich keine Konflikte in der explosionsartigen Vermehrung flächenintensiver Einfamilienhäuser.

Ich sage: Die Mehrheit der Regionalversammlung hat sich von der Bevölkerung weit entfernt. In der Schweiz wurde dieser Missstand 2013 per Volksentscheid korrigiert. Mit breiter Mehrheit ist dort ein neues Planungsgesetz verabschiedet worden, das Baulandreserven aufgehoben hat und zur konsequenten Innenentwicklung zwingt. Die Schweiz unterbindet so Bodenspekulation und Landverschleiß.

Zeitgleich in der Region Stuttgart: Der Verband lädt zu einer Konferenz unter dem Titel „Akzeptanz für mehr Wohnungsbau in Stadt und Region“. Man setzt alles daran, das gewachsene Umweltbewusstsein der Menschen zu korrigieren und sucht nach Strategien, das Wachstumsdogma gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen. Ich sage klar: Mit uns LINKEN wird es eine massive Aufsiedelung auf den Fildern und Flächenfraß wie durch den Nord-Ost-Ring nicht geben!

Wir setze auf qualifizierten Städtebau, urbane Dichte und ein nachhaltiges Gewerbeflächenmanagement, nicht auf Raubbau an der Zukunft. Das ist das raumordnerische Fundament für eine neue Architekturmoderne, wohin die IBA 2027 strebt.

Die digitale Infrastruktur ist essentieller Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge, insbesondere in einer Hochschul-, Wissenschafts- und Innovationsregion. DIE LINKE begrüßt, dass die Region eine Breitbandoffensive startet. Die Pläne, die Deutsche Telekom als privilegierten und strategischen Partner einzubinden, halten wir jedoch weiterhin für verfehlt. Der Ausbau des Netzes darf nicht in eine Monopolisierung zugunsten eines Konzerns führen.

Daher fordern wir, dass die digitalen Lebensadern diskriminierungsfrei zugänglich sein müssen. Nur so kann ein vielfältiges Angebot für die Endnutzer entstehen, zusammen mit den Stadtwerken und unter Einbindung ergänzender dezentraler Technologien. Denn bei kritischer Infrastruktur sind Skalierbarkeit, Zukunftsfähigkeit und Ausfallsicherheit entscheidend.

Das Ziel unserer Fraktion ist es, Mobilität in der Region für alle Menschen zu sichern, umweltschonend, klimaneutral und effizient zu organisieren.

Vor fast 10 Jahren gab unser Antrag „Umweltschonende individuelle Mobilität ganzheitlich organisieren“ den Impuls für polygo. Die polygo-Card bündelt die Nutzung von Mobilitäts-Services. Im September wurde der VVS für weitere zwei Jahre mit der Weiterführung des Projekts im bestehenden Leistungsumfang betraut. Das große Potential von polygo wird jedoch vernachlässigt, die Weiterentwicklung hin zu einer multimodalen Mobilitätsplattform. Da keiner der Konsortialpartner federführend das Projekt stemmt, muss der Verband Region Stuttgart tätig werden. Ziel ist, die Nutzung von polygo zu vereinfachen, bestehende Hürden zu eliminieren, und den Datenschutz sicherzustellen. Bestehende und künftige Dienstleistungen sollen einfach und nutzerfreundlich über eine sichere Web-Plattform oder die VVS-App aktivier- und deaktivierbar sein.

Montag morgen, 8.07 Uhr, Hauptverkehrszeit. Es ist Feinstaubalarm. Weichenstörung in Österfeld. Fahrbahnstörung bei Waiblingen. Technische Störung zwischen Winnenden und Backnang. S1, S2, S3 massiv beeinträchtigt. Das ist trotz aller Versprechungen der Bahn Alltag für viele S-Bahn-Pendler. Zu oft legen technische Störungen das System ganz oder teilweise lahm. Die Folge: Chaotische Zustände an den Haltepunkten und gerissene Reiseketten. Entsprechend schlecht benoten die Fahrgäste die Informationen im Störungsfall. Daher fordert DIE LINKE die Optimierung der SSB-Betriebsleitstelle zur Notfallkoordination. Ein permanent anwesender Koordinator soll künftig Störungen im System zeitnah aufspüren, in Zusammenarbeit mit allen Partnern Gegenmaßnahmen einleiten, und den Informationsfluss verbessern.

Wir sind eine Stadtregion mit 2,7 Mio. Einwohnern, mit dem Pulsschlag einer Metropole. Die Zeit für einen durchgängigen Nachtverkehr der S-Bahn an allen Wochentagen ist gekommen. In unserer urbanen Wissensregion muss ein alltagstaugliches, alle Bedarfe abdeckendes Mobilitätsangebot der veränderten Arbeits- und Lebenswelt endlich Rechnung tragen.

Doch was nützen Verbesserungen bei der S-Bahn aber denjenigen, die aufgrund geringen Einkommens vom ÖPNV ganz ausgeschlossen bleiben? Deren Regelsatz auch nach der VVS-Tarifzonenreform nicht annähernd für ein „Jedermann“-Monatsticket“ reicht? Wir schlagen erneut vor, das Erfolgsmodell Sozialticket auf die gesamte Region auszudehnen, um einkommensschwachen Menschen den Zugang zur Mobilität und damit zur gesellschaftlichen Teilhabe zu ermöglichen. Zudem stellen wir die 1. Klasse in der S-Bahn in Frage: Hamburg und Köln haben sie längst abgeschafft. Denn es ist unsinnig, in Stoßzeiten leere Sitze vorzuhalten.

Nach wie vor ist von den angeblichen Segnungen durch das Projekt Stuttgart 21 noch nichts zu spüren. Atemberaubenden Kostensteigerungen, abstrahlende Störungen in den Betrieb des ÖPNV, die drohende Versiegelung weiterer wertvollster Ackerböden auf den Fildern, die sich immer weiter aufschiebende Fertigstellung. Bahnchef Richard Lutz höchstpersönlich hat seinen Glauben an Stuttgart 21 verloren. Wir schlagen vor mit Herrn Lutz über seine Glaubenskrise zu sprechen und ihn dazu in den Verkehrsausschuss zu laden.

Was die Fraktion DIE LINKE anstrebt, ist nicht weniger als eine umfassende Transformation unserer Region: von einer autozentrierten Stau-Metropole ohne Respekt für Klima und Umwelt, die Gesundheit ihrer Bürger oder die Landwirtschaft, die sie ernährt, hin zu einer digitalisierten, klimaneutralen Wissensregion, mit nachhaltiger Mobilität, mehr Urbanität, intakter Natur und Teilhabe für alle hier lebenden Menschen.