Antrag: Agroforste

RV StuttgartFraktionInitiativenAntrag

Antrag zum Regionalhaushalt 2021 der Fraktion DIE LINKE/PIRAT, eingebracht am 18.10.2020.

 

Ergebnis:

Angenommen im Planungsausschuss am 11.11.2020. Der potenzielle Nutzen der Umsetzung von Agroforst-Konzepten in der Region Stuttgart wird geprüft und eine entsprechende Beschlussfassung vorbereitet.



Die Fraktion DIE LINKE/PIRAT beantragt:

Die Verwaltung legt dem Planungsausschuss eine Beschlussvorlage vor, mit dem Ziel, in der Zusammenarbeit mit regionalen Hochschulen sowie den Bauern- und Naturschutzverbänden Modellvorhaben für innovative Agroforstsysteme in der Region zu realisieren.

Dabei ist zu prüfen, ob für entsprechende Forschungsvorhaben Kofinanzierungsmittel verfügbar sind, bzw. im Rahmen des Forschungsvorhabens RAMONA Ökopunkte zum Einsatz kommen können.

 

Begründung:

Der Begriff Agroforst beschreibt ein System, in dem mehrjährige Gehölze wie Obstbäume oder Energieholz wie Pappeln und Weiden in Verbindung mit Ackerkulturen oder Viehhaltung gepflanzt werden. Die Gehölze werden zwischen den Feldkulturen und an Ackerränder angelegt, erhöhen dadurch die Bodenfruchtbarkeit, und schützen vor Erosion sowie Auslaugung. Sie bieten zusätzliche Einnahmequellen durch die Gewinnung von Holz, nachwachsender Rohstoffe, Obst oder Grünfutter. Zudem generieren sie ökologische Vorteile: Sie wirken als Erosions- und Windschutz, verbessern die Beschattung, fördern die Bildung von Humus, binden Nährstoffe, speichern Wasser, und sorgen für ein besseres Mikroklima. Zudem ist dieser systemische Ansatz besonders förderlich, um der schwindenden Biodiversiät entgegenzuwirken. Mehr Bäume und Sträucher mindern außerdem den Eintrag von Schadstoffrückständen in Fließgewässer. Agroforste können sogar einen gewissen Beitrag zur Bindung von CO2 und damit unmittelbar zum Klimaschutz leisten[1].

So haben beispielsweise im Landkreis Esslingen im Bereich der Teufeslklinge in Nürtingen, im Wald bei Neuhausen sowie beim Gemüseanbau im Lössgebiet auf den Fildern Bodenerosion und Oberflächenabfluss deutlich zugenommen[2]. Insbesondere auf den Fildern sind die Böden zwar durch den hohen Schluffanteil äußerst fruchtbar, aber unter den gegebenen Bewirtschaftungsbedingungen mit großflächigem intensiven Gemüseanbau (z.B. Filderkraut) eben auch sehr erosionsanfällig. Besonders die starken Regenfälle im Jahr 2007 führten zu erhebliche Erosionen. Eine praxistaugliche Kombination von Agroforst und Gemüsebau wäre hier ein interessanter Ansatz für Forschungsprojekte der Universitäten innerhalb der Region.

Angesichts zunehmender Wetterextreme infolge des Klimawandels machen den Bauern in der Region auch zunehmend lange Trockenphasen zu schaffen. Gerade auf den Fildern sind gegenwärtig im Frühjahr und Herbst die Äcker zumindest partiell "Wüste" und schonungslos Wind und Wetter ausgeliefert. Im Hitzesommer 2018 verbrannte das Feuchtigkeit liebende Kraut fast auf den Feldern, so dass die Krauternte extrem mager ausfiel[3]. Angesichts steigender Temperaturen und einer Zunahme von Hitzetagen könnten auch hier Agroforste helfen, das Wasser im System zu halten und insgesamt die Resilienz der Produktion zu erhöhen. Auch hier könnte ein Forschungsprojekt neue Wege aufzeigen und dazu beitragen, die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegenüber den rasanten Klimaveränderungen zu machen.

Agroforste sind keine neue Erfindung, sondern haben eine lange historische Tradition, so unter anderem die Waldweide für die naturgemäße Haltung von Nutzschweinen. Auch die Streuobstwiesen gehören dazu. In Norddeutschland werden Baumstreifen zwischen und am Rand von Ackerflächen als "Knicks" bezeichnet. Solche Streifen, die auch wertvolle Lebensräume für Tiere und Pflanzen darstellten, wurden allerdings in den vergangenen Jahrzehnten vielfach abgeholzt, um Ackerflächen zu vergrößern. In der Region Stuttgart ist der Druck auf hochwertige Böden besonders stark, um neues Bauland und Entwicklungsflächen zu generieren.

In den vergangenen Jahren wurden eine Vielzahl von Projekten zu Agroforstsystemen mit Energieholzstreifen durchgeführt. So haben unter anderem die Universität Göttingen, die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, die Bayerischen Landesanstalten für Landwirtschaft und für Wald- und Forstwirtschaft die positiven Auswirkungen von Agroforsten dargestellt[4]. Zahlreiche Praxisversuche und laufende Projekte engagierter Landwirte untermauern die positiven Forschungsergebnisse, so beispielsweise Freiland-Hühnerhaltung in Mobilställen umgeben von Energieholzplantagen, die Eichelmast alter Schweinerassen in tiergerechter Waldweidehaltung, oder klimaregulierende Agroforstsysteme für Boden-, Erosions- und Klimaschutz. Viele dieser Modelle sind zudem förderlich für das Tierwohl.

Im Juni 2019 wurde der gemeinnützige Deutsche Fachverband Agroforst (DeFAF) e.V. gegründet, in dem sich interessierte Akteure aus Praxis, Wissenschaft, Politik und Verwaltung zur Förderung von Agroforsten in Deutschland zusammengeschlossen haben.

Obwohl beispielsweise das Verbundprojekt der BTU Cottbus-Senftenberg vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit knapp 3,3 Mio. € gefördert wurde[5], ist in Deutschland mit Ausnahme der Förderung von Streuobstwiesen ein nicht sachgerechtes Hindernis zur Förderung der Agroforste gesetzt. Laut dem Deutschen Fachverband Agroforstwirtschaft bietet die EU bereits seit 2007 viele Möglichkeiten zur Förderung. Diese werden jedoch von der Bundesrepublik nicht genutzt. Stattdessen erfordern Agroforste momentan sogar noch eine Ausnahmegenehmigung, da die deutschen Gesetze keine Mischnutzung vorsehen. Im Gegensatz zum Anbau in umweltschädlichen Monokulturen können Landwirte für Agroforstflächen keine Subventionen beantragen[6].

Je mehr Studien und Projekte aus verschiedensten Regionen mit agrarintensiver Wirtschaft Lösungen erproben und Daten liefern, desto eher besteht die Möglichkeit, dass sich diese restriktive Praxis in Deutschland ändert. Auch die Region Stuttgart kann im Sinne der Klimaresilienz davon profitieren, wenn entsprechende Forschungsprojekte mit ihrer Unterstützung angestoßen werden.

 


[1] Siehe https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/umwelt/agroforsten-und-humusaufbau-fuer-klimaschutz-langfristig-unverzichtbar/

[2] Siehe https://www.landkreis-esslingen.de/start/service/Bodenerosion.html

[3] Siehe https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.erhaltungsgarten-fuer-alte-sorten-selbst-ungeziefer-schwaermt-vom-filderkraut.67c72782-1d6c-4b31-9c6e-6331eba97e0d.html

[4] Siehe http://www.uni-goettingen.de/de/3240.html?archive=true&archive_source=presse&archive_id=5473, und https://www.lfl.bayern.de/schwerpunkte/oekolandbau/080198/index.ph, sowie https://www.b-tu.de/news/artikel/15365-wie-der-mix-aus-acker-baeumen-und-tieren-auf-dem-feld

[5] Siehe https://www.b-tu.de/news/artikel/15365-wie-der-mix-aus-acker-baeumen-und-tieren-auf-dem-feld

[6] Siehe https://www.epochtimes.de/politik/deutschland/deutsche-politik-bremst-klimaschutz-agroforste-trotz-eu-unterstuetzung-nicht-gefoerdert-a3079179.html und https://krautreporter.de/2831-funf-gute-nachrichten-die-im-marz-untergegangen-sind