Antrag: Machbarkeitsstudie für eine regionale CO2-Kompensationsstrategie

Antrag der Regionalfraktion DIE LINKE/PIRAT zu den Haushaltsberatungen 2024, eingebracht am 22.10.2023.

 


Ergebnis:

Im Ausschuss für Wirtschaft, Infrastruktur und Verwaltung am 29.11.2023 wurde ein Vermittlungsvorschlag der Verwaltung angenommen, dass es unterjährig einen Bericht der Klimastiftung Baden-Württemberg geben soll. Auf dieser Basis wird dann über das weitere Vorgehen entschieden.



Die Fraktion DIE LINKE/PIRAT beantragt:

Die Geschäftsstelle des Verbands Region Stuttgart beauftragt eine Machbarkeitsstudie für eine regionale CO2-Kompensationsstrategie als Grundlage für zyklisches Bauen.

Die Geschäftsstelle ermittelt die hierfür notwendigen Kosten und stellt diese in den Haushalt ein.


Begründung:

Die Bauwirtschaft setzt sehr viel CO2 frei und stellt mit ihren „grauen Emissionen“ sogar den Verkehrssektor in den Schatten. Jede Baumaßnahme, jeder Hoch- oder Tiefbaubau, jeder Neu- und Umbau hinterlässt einen klimaschädlichen Fußabdruck. Ohne aktives Bauen aber lassen sich auch viele sozialräumliche Ziele nicht umsetzen.

Die Bauwirtschaft in Deutschland ist ein konservatives, regional geprägtes und kleinteilig strukturiertes Gewerbe. Fast 90% der Betriebe haben weniger als 20 Beschäftigte. Der Adressat der Klimaneutralität ist daher keine greifbare Großindustrie, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Handwerksbetriebe. Eine Folge dieser Betriebsstrukturen ist, dass im Baugewerbe bisher wenig und unkoordiniert geforscht wurde, und Bauen daher eine eher innovationsarme Disziplin ist. Es fehlen regionale Strategien, die Baupraxis vor Ort zu transformieren. Ohne die Region als Möglichkeitsraum und die Regionalverwaltung als „Möglichkeitsbeschaffer“ werden in Zukunft die Strukturen fehlen, die dem regional tätigen Baugewerbe bei der Transformation einen verlässlichen Rahmen bieten können.

Es gibt sie natürlich auch, die großen Player der Baustoffherstellung: Der württembergische Zementproduzent Heidelberg Materials (ehemals Heidelberger Zement) hat das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein. Im Jahr 2030 soll die CO2-Emission pro Tonne Zement in Deutschland 400 kg und in der globalen Produktion 500 kg betragen. Damit steht die Bauwirtschaft trotz der Hoffnung auf grünen Wasserstoff vor einer gigantischen Transformation hin zur Dekarbonisierung. Wie sie aussehen soll, ist bisher unklar.

Obwohl also Stoffkreisläufe aufgebaut werden, der Holzbau boomt und dem Bauerhalt ein Vorrang eingeräumt wird, sind die Hürden enorm, den CO2-Ausstoß im Bauwesen vollständig abzusenken. Ohne Kompensationsmaßnahmen und neue Zyklen des Bauens wird das Ziel der Klimaneutralität im Bauwesen mittelfristig nicht zu erreichen sein. Dazu kommt, dass gerade technische Bauwerke wie Pumpspeicherkraftwerke oder Kläranlagen in der Regel ohne den klimaschädlichen Baustoff Beton nicht auskommen werden. Es gibt keinen gesetzlichen Mechanismus, baulich verursachte und unvermeidbare Verunreinigungen der Atmosphäre mit klimaschädlichen Gasen auszugleichen. Anders als bei der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung gibt es auch kein Verschlechterungsverbot oder ein Minimierungsgebot bei baulichen Maßnahmen beziehungsweise Eingriffen in die Atmosphäre. Der deutsche und europäische Gesetzgeber geht davon aus, dass die Klimaschutzziele allein durch eine stufenweise CO2-Reduktion erreicht werden können.

Dass die energieintensiven und emissionsstarken Bauindustrien wie Zement oder Stahl die Klimaschutzziele auf dem Kompensationsmarkt aufbessern, um ihre Produkte im Markt zu halten, ist stark anzunehmen. Wenn sie dies aber mit klaren Bilanzierungsregeln und auf der Grundlage von internationalen Abkommen tun, dann werden diese Maßnahmen nicht vor Ort an der Quelle der Emissionen sein. Die Externalisierung von Klimaschutzmaßnahmen ist ein wichtiges Instrument, um die globalen Emissionen zu senken, aber verhindert in der Regel die Einführung von klimafreundlichen Produkten und den Aufbau von klimaneutralen Produktionszyklen. Erst durch den Aufbau regionaler Bauzyklen lassen sich die Gewohnheiten unserer kleinteiligen und konservativen Baukultur ändern.

Eine CO2-Kompensationsstrategie von baulichen Maßnahmen kann jedoch erst am Ende einer generellen Vermeidungsstrategie stehen, die die Bauaufgabe an sich hinterfragt, die Nutzung bestehender räumlicher oder baulicher Anlagen oder Bauelemente favorisiert, und den Einsatz rezyklierfähiger Materialien maximiert hat. Die freiwillige Kompensation von unvermeidbaren klimaschädlichen Emissionen ist also Teil der Bauwende. Grundsatz für alle ökologischen Strategien sollte sein, dass die Region, in der man lebt, und die Region, von der man lebt, im selben Raum miteinander verbunden sind. Regionales Holz im Wohnungsbau, Ersatzpflanzungen von Bauholz und abkühlende Wälder sollen sich ergänzen.

Da die Regionalplanung der Steuerung baulicher Entwicklungen dient, liegt es nahe, dass in diesem Planungsraum auch die neue Ökologie des Bauens gefördert wird. Aufgabe der Region Stuttgart ist es, Strukturen zu schaffen, um die lokale Bauwirtschaft auf dem Weg in die Klimaneutralität zu begleiten. In der Regionalplanung geht es also in Zukunft nicht mehr darum, klimaschädliches und „kompensiertes“ Wachstum zu kanalisieren, sondern um die Transformation bestehender Ökologien. Ein rein kommunaler Ansatz wird scheitern, weil dieser regelmäßig an die kommunalen Grenzen stoßen würde.

Derzeit gibt es in der Regionalverwaltung noch keine Strukturen, um diese Bauwende zu begleiten und die Transformation der Bauwirtschaft fachlich ausreichend zu unterstützen. Unser Antrag will daher die Bedingungen schaffen, sich mittelfristig von der Regionalplanung als baulichem Wachstumsinstrument zu lösen. Stattdessen sollen, prozesshaft und von der Bauforschung und Vertretern der Bauwirtschaft begleitet, die klimaschädlichen Emissionen und die Kompensationsbedarfe gutachterlich erhoben werden. Ohne eine quantitative Erfassung ist eine kritische und situative Bewertung der Bauaufgaben nicht möglich. Mit der Kompetenz der Klimastiftung Baden-Württemberg sollen zeitlich gestaffelte Kompensationsprojekte erhoben werden, die dem steigenden Bedarf an nachwachsenden Rohstoffen entsprechen. Ziel der Machbarkeitsstudie ist es, auf regionaler Ebene handlungsfähig zu werden und die räumlichen und funktionalen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Bauwende zu schaffen.