Rede: Herausforderungen der Transformation

Rede von Christoph Ozasek in der Regionalversammlung Stuttgart am 29.3.2023 zu TOP 1 (Sitzungsvorlage 075-2023), "Herausforderungen der Transformation" für die Fraktion DIE LINKE/PIRAT.



Herr Vorsitzender, Herr Dr. Lahl,
werte Kolleg*innen,
sehr geehrter Herr Ministerialdirektor Kleiner,
 

verwundert reibt man sich die Augen: Krise! Überall Krise. Global gestörte Lieferketten, ein brutaler Angriffskrieg und die viel beschworene „Zeitenwende“.

Und doch können wir aufatmen: Die Gewinne der Autoindustrie sprudeln. Ein Erfolgsquartal jagt das nächste. Analysten sprechen von einer Gewinnsteigerung bei Mercedes auf 19 Milliarden Euro für 2023.

In den Kämmereien werden Freudentränen vergossen. Allein die Landeshauptstadt verzeichnet ein Plus von 350 Millionen Euro an Gewerbesteueraufkommen!

Freudentränen vom Fließband bis zur Chefetage: Die Jahresboni sprengen alles je Dagewesene. Nicht der grüne Wasserstoff, lieber Walter Rogg (Geschäftsführer WRS), sondern der Champagner fließt in Strömen! Was für ein Fest. Und alle tanzen um das heilige Blechle: unsere fröhlich dampfende Wohlstandslokomotive.

Der Porsche-Konzern stellt ja mittlerweile bereits zwei Bundesminister. Im Management dachte man sich: Wieso lobbyieren, wenn man einfach Kabinettsmitglieder benennen kann, die noch den letzten vernunftbefreiten Quatsch, wie eFuels und den dreckigen Verbrenner, gegen die Europäischen Kommission für uns durchsetzen? Klug, diese Herren.

Wir müssen uns ehrlich machen: Jeder Beihilfe-Euro im Konzernkässle zementiert das Autoland Deutschland.

Selbst der grüne Ministerpräsident schreibt eifrig Briefe für Herrn Källenius nach Brüssel, damit Ursula von der Leyen nicht vergisst, dass der Wohlstand der Mercedes-Aktionäre Staatsziel ist. Und was soll helfen? Das liebe Geld aus der EU. Denn das soll ab 2028 möglichst nicht mehr zum Stopfen der Schächte in den Kohlerevieren verwendet werden, sondern die industrienahe Forschungslandschaft im Südwesten zum Strahlen bringen.

Wurde einst noch der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beschworen – in Deutschland übrigens ein Ziel von Verfassungsrang – so wird heute eifrig dafür geworben, „Stärken zu stärken“. Der Abbau des ökonomischen Gefälles in der EU - ein Auslaufmodell. Behelfsweise werden sogar die Nöte der von Mietenexplosion und Inflation Betroffener beschworen, um ans europäische Geld zu kommen.

Man muss sich schon sehr anstrengen, den Ruf nach Industriefördergeldern sozialpolitisch zu legitimieren. Aber die Wahrheit ist, dass der Krankenschwester nur durch eine politische Regulierung des Mietenmarkts, höhere Löhne und eine Entfesselung der Energiewende geholfen wäre - nicht durch Schecks an die Industrie aus Brüssel.

Aber so ist das mit der Zeitenwende – da muss man eben rhetorisch einen Gang hochschalten, um der Krise mit den vollelektrischen Stadtpanzer davonzubrettern. Denn wo kämen wir denn hin, wenn Aktionäre wegen dieser nervigen „Klimaterroristen“ auf ihre Renditen und der Fabrikarbeiter auf seinen Bonus verzichten muss, denkt man sich in Untertürkheim und am Porscheplatz.

Aber ich kann Sie beruhigen: Uns alle eint, dass eine hohe Dringlichkeit zur Transformation unserer Industrieproduktion besteht. Unglücklicherweise ist auch dieses schöne Wort „Transformation“, genauso beliebig und subjektiv wie der missbrauchte Nachhaltigkeitsbegriff.

Der Grundfehler des „Green Deal“ der EU besteht bereits darin, das Wachstum befördern zu wollen. Die Kernthese, dass Wachstum von Umweltzerstörung entkoppelt werden könnte, hält einer empirischen Überprüfung nicht stand. Dies alles ist wohlgemerkt nicht neu: Bereit 1972 hat der Club of Rome die „Grenzen des Wachstums“ in seinem Bericht zur Lage der Menschheit dargestellt. Auch trägt dieses Wachstum keineswegs zum Abbau der Ungleichheit bei. Nie war in der Geschichte der Bundesrepublik Arm und Reich weiter entfernt als heute – und das Risiko der Armutsgefährdung größer.

Dass die EU sich angesichts der dramatisch zuspitzenden Klimakrise nicht zu einer ambitionierteren Klimaagenda durchringen kann und an ihrem 2050-Ziel festhält, ist ebenfalls nichts, was uns angesichts der IPCC-Berichte motiviert, die heute vorliegende Proklamation für den „Green Deal“ mitzutragen. Ebensowenig können wir uns für den Paradigmenwechsel in der EU-Förderkulisse erwärmen, die noch rudimentär den Gedanken von europäischer Solidarität in sich trägt.

Und angesichts der kontinuierlich steigenden CO2-Emissionen im Verkehrssektor sowie dem statistischen Fakt, dass Baden-Württemberg so sehr ein Autoland ist wie nie zuvor, können wir auch dem eifrigen Briefeschreiber aus dem Staatsministerium keinen Applaus zollen, der keinerlei Problembewusstsein für die drohende Klimakatastrophe im Südwesten aufbringt. Im Monatsrhythmus lässt er eben jene Kabinettsmitglieder auflaufen, die sich tatsächlich für Klimaschutz stark machen wollen.

Bereits 2040 muss Baden-Württemberg mit einem Temperaturanstieg von 3 Grad rechnen, so der Klimasachverständigenrat in einer alarmierenden Meldung vergangene Woche: 60 Jahre früher als es alle bisherigen Modelle prognostizierten, mit dramatischen Folgen für Mensch und Natur.

Tiefgreifende Transformation – das bedeutet die Dekarbonisierung aller Sektoren und schließt den Übergang zu einer Postwachstumsökonomie mit ein – muss hier und jetzt greifen, damit wir nicht, um es mit den Worten des UN-Generalsekretärs zu sagen, mit „Vollgas in die Klimahölle“ rasen.

Unsere Fraktion wird dieser Beschlussvorlage, die über die ausbleibenden Erfolge und völlig unzureichenden Anstrengungen beim Klimaschutz sowie 10 verlorene Jahre im Transformationsdialog hinwegtäuschen soll, daher nicht zustimmen.