Vorsorgendes Klima-Risikomanagement im Regionalplan verankern

RV StuttgartFraktionChristoph OzasekPeter RauscherSebastian LuckeAntrag

Antrag zum Regionalhaushalt 2022, eingebracht am 18.10.2021.


Ergebnis:

Angenommen im Planungsausschuss am 10.11.2021. Die Verwaltung verweist auf Klimaschutz und Klimaanpassung als integrale Bestandteile des gültigen Regionalplans und sichert zu, neue Erkenntnisse im Rahmen künftiger Änderungen und Fortschreibungen zu berücksichtigen und in die Kommunenberatung einfließen zu lassen. Außerdem wurden  hierzu auch Drittmittel aus der Forschungsförderung des Bundes eingeworben, so dass zusätzliche Mittel derzeit nicht erforderlich sind.



Die Fraktion DIE LINKE/PIRAT beantragt:

  1. In der mittelfristigen Finanzplanung wird mit Zielhorizont der Fortschreibung des Regionalplans nach 15 Jahren, also im Jahr 2024, die vollständige Integration eines vorsorgenden Klima-Risikomanagements vorbereitet.
  2. Hierzu sind aktuelle Forschungsergebnisse und die aus dem Modellvorhaben der Raumordnung MORORisiko und der Vertiefung im Landkreis Böblingen (KlimABB) gewonnenen Erkenntnisse auf die gesamte Region Stuttgart zu übertragen, sowie die bereits vorliegenden regionalen Gefahrenkarten zu Hochwasserrisiken heranzuziehen, und als Multigefahrenkarten in geeigneter Weise in den Regionalplan einzubetten.
  3. Die Verwaltung beziffert die für den Zeitraum von fünf Jahren notwendigen Ressourcen in Haushalt und Stellenplan und stellt diese bereit.

 

Begründung:

Nachdem die Regionalfraktion DIE LINKE/PIRAT im Herbst 2019 erstmals den Impuls für ein vorsorgendes Klima-Risikomanagement eingebracht hat, ist der Begründungszusammenhang heute deutlicher denn je. Aktuelle Ereignisse haben eindrücklich aufgezeigt, dass die Region auf die sich rapide beschleunigende Klimakrise und deren multiple Risiken nicht vorbereitet ist.

Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz diesen Sommer hat uns vor Augen geführt, wie verwundbar Siedlungen und Infrastrukturen sind. Insbesondere die Flusstäler erweisen sich als Hochrisikogebiete. Mit 30 Milliarden Euro plant die Regierung nun Wiederaufbauhilfe zu leisten: eine gigantische Summe.

Der Starkregen im Juni 2021 verursachte erhebliche Schäden im Stadtgebiet Stuttgart. Viele Tunnel wurden geflutet. Hier stellt sich die konkrete Frage, wie die Region mit ihren unterirdischen Stadt- und S-Bahnanlagen, ganz zu schweigen vom neuen Tiefbahnhof, gegen extreme Unwetter und urbane Sturzfluten gewappnet ist.

Ein Blick auf die aktuelle Studienlage zeigt die Herausforderung auf. Der Deutsche Wetterdienst prognostiziert anhand neuster Niederschlagsdaten immer häufigere und ausgedehntere Starkregen-Ereignisse. Betroffen sind vor allem tiefer gelegene Ortschaften mit starker Bebauung und versiegelter Fläche. Maßnahmen wie die Entsiegelung selbst kleiner Flächen im Kontext des Konzepts der „Schwammstadt“, wie der Verzicht auf die Entwicklung neuer Siedlungs- und Verkehrsfläche, sowie Förderprogramme zur Sicherung bestehender Gebäude können zur Klimaresilienz beitragen. Stadtplanung muss, so Peter Jakubowski, Präsident des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, sowohl kompakt, klimagerecht und wassersensibel werden als auch auf städtische Grünflächen setzen und Freiräume vor kompakter Bebauung schützen[1] - eine Herausforderung, die zeitnah in Leitplanken des klimasensiblen Planens und Bauens übersetzt werden muss.

Die Meteorologen Frank Böttcher und Sven Pögler stellten in einem Vortrag im Rems-Murr-Kreis eindrücklich die Parallelen zwischen dem Remstal und dem von der Flut überschwemmten Ahrtal in Rheinland-Pfalz her und verwiesen auf die Notwendigkeit zur Klimaanpassung. Nicht nur Extremwetterereignisse, sondern auch der Temperaturanstieg sind absehbar. In Baden-Württemberg stiegen die Zehnjahres-Durchschnittstemperaturen zwischen 1970 und 2019 durch den CO2-verursachten Treibhauseffekt von 8 auf 9,6 Grad innerhalb von 50 Jahren. Starkregen und Dürreperioden werden häufiger stattfinden, und bis 2080 erwarten die Forscher in Baden-Württemberg ein Mittelmeerklima wie in Rom[2].

Das Climate Service Center Germany errechnet für die Jahre von 2036 bis 2065 in der Region Stuttgart einen Temperaturanstieg bis 3,2 Grad Celsius. Im schlimmsten Fall könnten sich die Temperaturen bis 2098 um bis zu 5,4 Grad erhöhen[3].

Laut dem Deutschen Wetterdienst und dem Landesumweltamt ist in Stuttgart ab 2050 mit bis zu 70 Hitzetagen im Jahr zu rechnen – in den bisherigen Hitzejahren 2003, 2015 und 2018 lag die Zahl noch knapp unter 30. Die Kessel-Lage verstärkt das Problem, ebenso die hohe Versiegelung und fehlendes Grün. Hitzestress ist eine immense Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung, insbesondere für ältere und einkommensschwache Menschen. Praktische Maßnahmen fehlen größtenteils, die Zeit ist knapp[4].

Viele dieser Risiken sind raumbedeutsam und regionalplanerisch beeinflussbar. Siedlungs- und Gewerbestrukturen in Flusstälern der Region sind besonders von Klimarisiken betroffen. Monokulturen in den Waldgebieten erhöhen die Gefahr von Bränden. Zahlreiche Versorgungsnetze für Energie, Trink- und Abwasser, Straßen und Schienenwege und Störfallbetriebe wie Kraftwerke werden künftig als kritische Infrastrukturen zu betrachten sein. Längere und intensivere Hitzewellen sowie ein stark verschlechtertes Bioklima in den Städten bedrohen Gesundheit und Leben der Menschen.

Bereits 2016 beschloss der Planungsausschuss auf Antrag der LINKEN eine Berichterstattung über den Sachstand regionaler Gefahrenkarten zu Hochwasserrisiken und Starkregenereignissen. Erkenntnisse aus dem MORORisiko im Landkreis Böblingen lassen erahnen, welche raumbedeutsamen Bedrohungen in der Region bevorstehen. Kernelemente des Projekts sind Kartendarstellungen für alle 26 Kommunen des Landkreises, aus denen die jeweiligen Gefährdungen durch klimabedingte Umwelteinwirkungen hervorgehen. Finanziert durch den Bund und in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung hatte der Verband Region Stuttgart die zweite Phase aus dem bereits abgeschlossenen Modellvorhaben getragen. Die Ergebnisse sind bereits veröffentlicht[5].

Ein vorsorgendes Risikomanagement dient dazu, Gefahren und Vulnerabilitäten zu identifizieren, raumbedeutende Risiken einzuschätzen und gegenzusteuern. Es gilt, die Region widerstandsfähig zu machen gegenüber diesen Risiken, gesunde und sichere Lebensbedingungen zu erhalten, und mit Klimaanpassungsstrategien Vorsorge zu betreiben.

Dazu ist für die Zukunft eine enge Abstimmung mit den Trägern der Bauleitplanung zu organisieren und Hilfestellung zu geben, insbesondere an Hotspots für multiple Klimagefahren.

 

 


[1] "Gefahrenquelle Starkregen", Geislinger Zeitung, 27.8.2021.

[2] "Sturzflut und Dürre, auch hier bei uns", Waiblinger Kreiszeitung, 26.8.2021

[3] "Beunruhigende Szenarien der Klimakrise", Stuttgarter Zeitung, 1.9.2021.

[4] "In Stuttgart wird es immer heißer werden", Stuttgarter Zeitung, 2.9.2021.

[5]https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/sonderveroeffentlichungen/2020/risikomanagement-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=2