Rede zur Strategie der Wirtschaftsregion Stuttgart (WRS)

Marc Dreher

Rede von Regionalrat Marc Dreher (DIE LINKE) im Ausschuss für Wirtschaft, Infrastruktur und Verwaltung am 9.4.2025 zu TOP 2: "Strategieprozess der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH".



Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
liebe Kolleginnen und Kollegen, 


auch wir haben die Strategie der WRS intensiv durchgearbeitet und diskutiert. Und da es sich ja durchaus um eine grundlegende Richtungsentscheidung handelt, gestatten Sie mir diesbezüglich etwas auszuholen, gerade weil wir am Erstellungsprozess nicht ganz so intensiv beteiligt waren wie die anderen Fraktionen. 

Schonmal vorweg: Ich empfinde das Format - also eine Strategie als Rahmen, durchaus auf einem gewissen Abstraktionsniveau und nicht als konkreter Maßnahmenkatalog - nur sinnvoll, gerade aufgrund der dynamischen ökonomischen und geopolitischen Lage. Dementsprechend würde ich da nicht mit Herr Hesky mitgehen, zumindest was das Format angeht. 

Ich möchte mit den positiven Punkten beginnen. Auch wir sehen das Leitziel der Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur innerhalb der Region als unerlässlich an - gerade angesichts der globalen Entwicklungen. Hier gilt es in der Tat, Abhängigkeiten in der Produktion, aber auch Abhängigkeiten von bestimmten Branchen zu verringern und die Region auf mehrere wirtschaftliche Standbeine zu stellen. Strategische Autonomie ist in der Tat ein ganz wichtiger Aspekt und die definierten Handlungsfelder spiegeln dies wieder. Übrigens, das beinhaltet m.E. auch eine Diversifizierung der Absatzmärkte - gerade Angesichts der aktuellen Entwicklungen in den U.S.A., dazu haben meine Vorrednerinnen und Vorredner ja schon alles gesagt. Aber dieses Thema liegt natürlich nicht in der Kompetenz der WRS. 

Die Diversifizierung der Produktion ist auch wichtig angesichts der ökologischen Transformation der Industrie. Hier gilt es, auch in Sektoren zu stärken, welche weniger energieintensiv sind. Green Tech und auch die Kreativwirtschaft sind hier die genau richtigen Felder, wenngleich natürlich die industrielle Basis weiterhin maßgebend sein wird. Gerade bezüglich der Kreativwirtschaft freut es uns, dass das Potenzial erkannt wird und wir haben dazu ja einen Cluster Report beantragt und sind gespannt, wie die Verwaltung dieses Vorhaben bewertet. Es würde sich auf jeden Fall gut in die Strategie integrieren. 

Auch die Kreislaufwirtschaft zieht sich als roter Faden durch die Strategie, was wir sehr begrüßen. Gerade weil ja - das wurde in der letzten Sitzung der AG Wirtschaft im Wandel deutlich - hier in Deutschland ein sehr hohes Potenzial erwartet wird. Dementsprechend macht es Sinn, wenn die WRS auch hier einen Schwerpunkt setzt, nicht nur - aber natürlich in erster Linie auch - aus ökologischen Gründen. 

Nun möchte ich aber zu den Kritikpunkten kommen und die sind tatsächlich unter anderem ganz grundsätzlicher Art. Und da möchte ich etwas Wasser in den Wein gießen. 

Und das bezieht sich in erster Linie auf die ausschließliche Fokussierung auf technologische Innovation im Rahmen des Transformationsprozesses. Ich möchte gar nicht verneinen, dass dies ein Baustein sein kann - ja sogar sein muss. Aber hinter dieser Überschätzung verbirgt sich ein Technikoptimismus und ein m.E. unvollständiges - wenn man es böse ausdrücken will - naives Verständnis vom Prozess technologischer Innovation. Die Innovationsforschung und allen voran die Wirtschaftssoziologie -  das ist vor allem mein beruflicher Hintergrund - hat schon lange deutlich gemacht, dass nicht allein die überlegene oder effizientere Technik ausschlaggebend für die Durchsetzung von Innovationen ist, sondern Innovation immer ein sozialer und damit gesellschaftlicher Prozess ist, der sich aus einem Wechselspiel von politischen Rahmenbedingungen, gesellschaftlicher Akzeptanz und damit schlussfolgernd mit der Adaptierung durch Konsumentinnen und Konsumenten zusammensetzt. 

Das klassische Beispiel hierfür ist das  Brennstoffzellen-Auto von Mercedes in den 90er Jahren, welches sich ja nicht aufgrund der mangelnden technischen Umsetzung nicht durchsetzte, sondern vor allem aufgrund der fehlenden politischen Rahmenbedingungen, massiven Pfadabhängigkeiten und einem sozio-technischen Regime, welches die gesellschaftlichen Akzeptanz für neue Antriebstechnologien verhinderte. Deshalb sind die Pläne wieder in den Schubladen verschwunden. 

Deswegen braucht es klare Rahmenbedingungen und Richtungsentscheide seitens des Staates, eine starke Industriepolitik, die wir in Deutschland viel zu lange nicht mehr betrieben haben, und auch ordnungsrechtliche Schritte anstatt dem blinden Vertrauen auf marktgetriebene Innovation und Technolgieoffenheit. Ich würde dem Argument der Technologieoffenheit ja folgen, wenn wir noch 50 oder 100 Jahre Zeit hätten und wir schön tüfteln und ausprobieren könnten was sich nun durchsetzt oder nicht. Aber wir haben es mit naturwissenschaftlichen und damit zusammenhängenden klimatischen Realitäten zu tun, die ein schnelles und klares Handeln benötigen. Uns bleibt schlichtweg keine Zeit für einen Jahrzehnte andauernden Prozess technologischer Offenheit und Vertrauen auf die Marktkräfte. Das wäre Handeln nach dem Prinzip Hoffnung und Innovation dient in der Strategie schlicht als Allzweckwaffe für alle Herausforderungen. Das ist zu kurz gedacht und für diese Denke  steht ökonomisch und klimatisch einfach zu viel auf dem Spiel. 

Ein weiterer Punkt, den wir kritisch sehen, ist der Bereich der Rüstung, welcher natürlich durch die fiskalische Entscheidung der Bundesregierung vorangetrieben wurde. Mir ist bewusst, dass hier eine sehr komplexe außenpolitische Diskussion dranhängt und auf die will ich jetzt nicht eingehen. Schlichtweg haben wir eine andere Auffassung darüber, wie man zu einem kollektiven Sicherheitssystem kommt. Das kann auch Rüstung beinhalten, jedoch nicht in dem Ausmaß, wie wir es dieser Tage erleben. Wir stellen uns zudem auch ganz klar gegen eine Denkweise, wie sie z.B. vom grünen Finanzminister Bayaz in einem Gastbeitrag im Handelsblatt ausgeführt wurde, dass Rüstungsproduktion „Profite für die Wirtschaft bringen wird“ und dadurch das BIP steigt. Abgesehen davon, dass dies rein ökonomisch betrachtet nur einen sehr kurzfristigen Effekt hat, da zumindest klassisches Militärgerät keinen ökonomischen Mehrwert schafft, halten wir diesen Diskurs auch für relativ zynisch und möchten nicht, dass die Region Stuttgart sich in diesem Bereich intensiver engagiert. 

Es gibt noch 2-3 Punkte die ich ganz kurz anschneiden möchte: 

Zum einen hätten wir uns noch ein paar deutlichere Sätze zur Transformation der Automobilindustrie hin zu einer Mobilitätsindustrie gewünscht, welche nicht nur den Individualverkehr beinhaltet sondern Mobilität ganzheitlich denkt. Wir erkennen aber die Ansätze dafür in der Strategie an. 

Zum anderen wird in der Strategie zu Beginn auf die Standortfaktoren eingegangen und hier spielt natürlich der Aspekt des fehlenden bezahlbaren Wohnraums eine massive Rolle, nicht nur bei Fachkräften, auch bei Studierenden. Leider wird das diagnostiziert, aber findet sich im Verlauf in Form von Lösungsschritten nicht wieder. Herr Kaiser, Sie meinten ja, die IHK ist an dem Thema dran in Bezug auf Werkswohnungen - ein auf den ersten Blick eher altes Konzept welches aber vielleicht wieder ein Revival erleben kann. Generell sollte hier auch die Verantwortung der Unternehmen betont werden, da waren wir in Deutschland schon mal deutlich weiter. Unseres Erachtens sehen wir hier durchaus auch ein Handlungsfeld der WRS in der Beratung, und es wäre auch die Chance, zumindest über einen Hebel hier in der Region etwas Einfluss zu nehmen auf den Wohnungsmarkt. 

Auch die Perspektive der Beschäftigten wird zu wenig beleuchtet. Zwar wird auf die Kreativität der Mitarbeitenden im Transformationsprozess abgehoben, jedoch müssen organisationsleitende Strukturen innerhalb der Betriebe geschaffen werden, wo diese Kreativität sich auch entfalten kann und Eingang in die Produktion oder Ausrichtung findet. Und das geht nur mit einer intensivierten betrieblichen Mitbestimmung. 

Angesichts der von mir aufgeführten Kritikpunkte und im speziellen aufgrund der doch grundlegenden Differenzen in der Bewertung der Rolle technologischer Innovation, welche sich durch die gesamte Strategie zieht und das bestimmende Narrativ darstellt, kamen wir nach intensiven Diskussionen zu der Entscheidung, dass wir der Strategie nicht zustimmen können. 

Das heißt natürlich nicht, dass wir uns nicht auch weiterhin konstruktiv an der Arbeit der WRS beteiligen wollen und nicht alles in der Strategie ablehnen. Aber ich hoffe, ich konnte deutlich und verständlich machen, welche Kritikpunkte wir haben und weshalb wir deshalb die Vorlage ablehnen, da wir einfach eine andere wirtschaftspolitische Auffassung haben - sie haben es vorher Philosophie genannt. 

Danke an die Beschäftigten der WRS für die Erstellung der Strategie und Vorstellung!