Rede zum Haushaltsplan 2023

Christoph Ozasek

Rede von Christoph Ozasek, Fraktionsvorsitzender der Regionalfraktion DIE LINKE/PIRAT, am 26.10.2022 in der Regionalversammlung Stuttgart zu TOP 1: "Aussprache sowie Anträge zum Entwurf der Haushaltssatzung für das Jahr 2023 mit Haushaltsplan und mittelfristiger Finanzplanung".



Herr Vorsitzender, lieber Herr Dr. Lahl, werte Kolleg*innen,

Politik beginnt bekanntlich mit der Betrachtung der Wirklichkeit - doch die ist gegenwärtig keineswegs schön anzusehen. Ein verachtenswerter Angriffskrieg zerbricht die „Gewissheit“ eines dauerhaften Friedens in Europa. Stabilität und Sicherheit sind einem neuen „Normal“ multipler Krisen gewichen.

Politik darf sich angesichts der Dynamik von Klimakrise, Krieg und Kontrollverlust nicht in wohlklingenden Zukunftsbildern und Narrativen erschöpfen. Unsere Demokratie muss Handlungsfähigkeit und den Willen zur Transformation beweisen. Denn wer Krisen nicht beherrscht, wird von ihnen beherrscht.

Fossile Energie ist Nährstoff für menschenverachtende und kriegführende Regime wie Russland oder Saudi-Arabien, und Treiber der globalen Klimakatastrophe. Die politisch gewollte Abhängigkeit von Öl und Erdgas ist das größte Zukunftsrisiko, auch für den sozialen Zusammenhalt. Armutsrisiko Nr. 1 ist die Gasheizung.

Die friedenstiftende Wirkung Erneuerbarer Energien entfaltet sich jedoch nur, wenn die Widerstände fallen, vom bürokratischen Wahnsinn eine Solaranlage zu betreiben, bis zur schwäbischen Realteilung, die Projektierer zur Verzweiflung bringt.

Hier herrscht Eiszeit beim Ausbau der Fotovoltaik und Windenergie. Wir sollten als Regionalverband daher klar das Ziel verfolgen, über 5 Prozent der windhöffigen Fläche als Vorranggebiete auszuweisen, anstatt das Potential gezielt auf 1,8 Prozent einzuschmelzen. Windenergie wird Teil unserer Kulturlandschaft sein. Sie macht unsere Versorgung und unsere Wirtschaft krisenresilient.

Dass Braunkohlestrom Konjunktur hat und dank eines bockigen FDP-Finanzministers der Schrottmeiler Neckarwestheim 2 weiter vor unserer Haustür brütet, ist schlimm genug. Dass aber der Landeskonzern EnBW langfristige Abhängigkeiten von hochgiftigem US- Frackinggas und mit seinem Kraftwerkspark einen „Lock-in“ in den Klimakiller Erdgas zementiert, geht voll auf das Konto der grün-schwarzen Landesregierung.

Diese strategischen Fehlinvestitionen sind unverzeihlich, denn wirtschaftliche Prosperität und Innovation folgt den regenerativen Energien, nicht dem Braunkohlestrom aus Lützerath. Genauso naiv ist der Irrglaube, Wasserstoff oder eFuels würde auf magische Weise unsere Region dekarbonisieren.

Grundlastfähige Energie ist essentiell, deshalb fordert DIE LINKE/PIRAT eine regionale Roadmap für Tiefengeothermie. Deren Potentiale zu kartieren und regionalplanerisch zu sichern ist der Ausgangspunkt, für Zukunftsinvestitionen - beispielsweise zur Dekarbonisierung der Fernwärme entlang des Neckars.

Das Energiepotential im Erdinneren kann, wie in München und entlang der Rheinschiene, Dank ingenieurstechnischem Know-How klimaneutral erschlossen werden - und das natur- und landschaftsschonend. Tiefengeothermie kann über Jahrzehnte hinweg stetig Strom und Wärme ohne Grundlastschwankungen liefern.

In einem weiteren Antrag unterstreichen wir, dass Ökostrom und unsere S-Bahn untrennbar zusammengehören. Es gilt, Bahnhofsdächer zum sichtbaren Symbol der solaren Energiewende zu machen.

Hitzewellen in unseren Städten, Dürre auf unseren Feldern, urbane Sturzfluten: Wir müssen unsere Kommunen radikal grün, klimagerecht und klimaresilient gestalten.

Mit KlimaBB verfügt der Verband nun über einen Instrumentenkasten für die klimaresiliente Stadt- und Ortsentwicklung. Meine Fraktion will diese herausragende Projektleistung um das Team von Herrn Dr. Hemberger schrittweise für das gesamte Verbandsgebiet verfügbar machen. Denn insbesondere kleine Gemeinden benötigen Unterstützung bei der Herkulesaufgabe des vorsorgenden Risikomanagement.

Zukunft sollte man sich nicht verbauen. Doch der Klimariese Bauwirtschaft treibt weiterhin sein Unwesen. Ewig hungrig gräbt er den fruchtbaren Boden um, schürft nach Steinen und Erden, um viele Einfamilienhäuser in die Landschaft zu setzen. Unaufhörlich asphaltiert er Straßen in die Landschaft, zur Freude der Daimleraktionäre. Der Klimariese wütet in den Städten, reißt Gebäude nieder, und wirft sein Raubgut in die Deponien.

Werte Kolleg*innen, wir müssen die Bauwende vollziehen! Eine Kultur des klimagerechten Planens und Bauens muss uns leiten. Die Kreislaufökonomie bändigt den Klimariesen, und mit ihm den unaufhörlichen Strom von Bauschutt in die Deponien. Unsere Städte sind Rohstoffspeicher. Sie können aus sich heraus stets neu entstehen. Doch die Bauwende gelingt nur mit regionalplanerischer Flächensicherung für das Baustoffrecyling, denn der Raubbau hat keine Zukunft!

Mit der Expansion unserer S-Bahn hat die Regionalversammlung die Weichen auf Zukunft gestellt. Die S-Bahn ist Rückgrat der überörtlichen Mobilität und die Schiene unsere klimafreundliche Entwicklungsachse. Einen Evolutionsschub, Herr Dr. Wurmthaler, erwarten wir aber auch von der Schusterbahn und der Panoramatrasse.

Den vielen Lippenbekenntnissen und Untersuchungen müssen nun endlich Taten folgen, im Sinne konkreter Betriebsprogramme, die diese Strecken endlich mit S-Bahn-Standard in Sachen Komfort und Takt reaktivieren, und als Ausweichstrecken die erforderliche Resilienz für den regionalen Schienenverkehr sichern.

Mit RegioRad haben Landeshauptstadt und Verband ein Erfolgsmodell geboren. Der logische Folgeschritt ist für uns die Vollintegration in Polygo und die Verbundstufe II. Jedes VVS-Abo soll gleichzeitig die Nutzung von Fahrrad- und Pedelecverleih beinhalten. Wir wollen so die Nutzerzahlen steigern und Menschen auf der letzten Meile umweltfreundlich in Bewegung setzen. Denn das Fahrrad ist eine Klimaschutzmaschine.

Der Tarifpreisschock von 4,9 % im VVS trifft vor allem diejenigen, die bereits an den ohnehin hohen Abo-Preisen, an Inflation und explodierenden Mieten verzweifeln: Menschen im Hilfesystem, Geflüchtete und Geringverdiener. Hier ist eine solidarische Antwort gefordert: Mit einem VVS-Sozialticket zum halben Preis des künftigen 49-Euro-Klimatickets.

Doch unsere Busse und Bahnen sollten auch allen zugänglich sein. Hürden, Barrieren und unzureichende Standards machen die Alltagsmobilität für Menschen mit Behinderung im Verbandsgebiet zum Abenteuer. Inklusion ist eine Querschnittsaufgabe, daher regt meine Fraktion die Berufung einer ehrenamtlichen Ombudsperson für die Belange von Menschen mit Behinderung an - mit vollem Mitwirkungsrecht in unseren Gremien.

Volle Teilhabe in allen Lebensphasen, bedeutet auch, unsere Gemeinden demografiesicher zu machen. Der Funktionsverlust der Ortszentren mit langen Wegen zu zugeparkten, hässlichen Discountern am Ortsrand sind für viele Menschen eine unüberwindbare Hürde und damit ein Verlust an Selbstbestimmung. Der Markt gehört in die Mitte!

Tante-M-Läden, Dorfladennetzwerke und innovative Start-Ups schließen oft vorbildlich die Lücke, schaffen Orte der Begegnung und lindern die Nahversorgungskrise. Hier könnte ein von uns beantragtes Förderprogramm für alternative Versorgungsstrukturen unterstützend wirken, denn die Daseinsvorsorge in Gehweite schafft soziale Resilienz.

Klar muss uns aber allen sein: der entscheidendste Beitrag zur Zukunftsresilienz und die richtige Antwort auf die Krise ist natürlich: der Badesee!
Denn nichts wirkt stimulierender wie der Sprung ins kühle Nass.

In diesem Sinne freue ich mich auf erfrischende Beratungen und ich bedanke mich für Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.