Rede: Haushaltsanträge der Fraktion DIE LINKE/PIRAT für das Haushaltsjahr 2020

Rede von Christoph Ozasek zur Einbringung des Regionalhaushalts 2020 in der Regionalversammlung Stuttgart am 23.10.2019.

Sehr geehrte Frau Dr. Schelling,

Herr Vorsitzender,

werte Kolleg*innen,

 

Alles zu haben und noch mehr zu wollen, den eigenen Wohlstand zu wahren, indem man ihn anderen vorenthält. Systematisch werden vom globalen Norden aus soziale Kosten und ökologische Lasten der herrschenden Lebensweise ausgelagert.

So beschreibt der Soziologe Prof. Stephan Lessenich die inneren Funktionsmechanismen westlicher Gesellschaften, die den Überfluss weniger auf der Plünderung des natürlichen Reichtums unserer Erde und wachsender Ungleichheit gründen. 

Diese Lebensweise, die weltweit ökologische Krisen hervorbringt und Millionen Menschen zur Flucht zwingt - Eine Flucht, die viel zu oft an Stacheldrahtzäunen oder auf dem Grund des Meeres endet - muss radikal in Frage gestellt werden.

Im Schatten dieser Krisen-Spirale wächst die Ideologie der Ungleichwertigkeit, aus der sich antidemokratische rechtsextreme Kräfte wie die AfD nähren, durch deren Hassbotschaften Menschen Opfer von Gewalt werden: Migrant*innen, Andersdenkende, Andersliebende, Jüdinnen und Juden, Politiker wie Walter Lübcke.

Manche glauben nun, die richtige Antwort auf die herannahenden Krisen sei es, das Gaspedal eines 600 PS motorisierten eSUVs durchzudrücken.

Nein, werte Kolleg*innen, die einzig richtige Schlussfolgerung lautet: 

Der Traum vom ewigen Wachstum ist geplatzt. Reduktion ist (…) eine Überlebensnotwendigkeit.“ 

So formuliert es der Bund Deutscher Architekten in seinem Positionspapier „Das Haus der Erde“, ein kluges Plädoyer für Klimagerechtigkeit.

Wird heute kein präventiver Strukturwandel eingeleitet und der ökologische Rucksack radikal abgeschmolzen, so sind Stabilität und Wertschöpfung in unserer Region akut gefährdet.

Vor einem Jahr monierte ich an dieser Stelle, dass im Haushaltsentwurf nicht mit einem Wort die politische Verpflichtung zur Klimaneutralität formuliert wurde.

Dies hat sich im aktuellen Haushaltsentwurf mit der Fortschreibung des Klimaatlas und projektfinanzierter Stellen erfreulicherweise gebessert. Doch wird der von uns LINKEN initiierte Beschluss zur Umsetzung eines regionalen Energie- und Klimaschutzkonzepts seit einem Jahr sträflich ignoriert.

Es gilt, jenseits der globalen Verantwortung zum 1,5-Grad-Ziel von Paris, raumbedeutsame Risiken der Klimaerwärmung zu erfassen und unsere Kommunen widerstandsfähig zu machen. Sie robust und kompakt zu entwickeln, sie zu durchgrünen, Fußgänger- und Radfahrerfreundlich zu gestalten. Städte autofrei zu machen. Produktive Quartiere wachsen zu lassen.

Der Schlüssel dazu ist der Regionalplan. Meine Fraktion fordert daher die strategische Fortschreibung des Planwerks, hin zu intelligenter Dichte, zu Klima-Resilienz und dem Schutz unserer fruchtbaren Böden.

Die Fakten liegen ihnen auf dem Tisch: Das Modellvorhaben MORO-Risiko hat eindrücklich die Folgen der Klimakatastrophe aufgezeigt. Waldbrände, Hochwasser, urbane Sturzfluten, Dürre und die Überhitzung der Städte zeigen das riesige Elementarschadenpotential auf. 

Nur mit einem vorsorgenden Klima-Risikomanagement kann die Region in enger Abstimmung mit den Kommunen Anpassungsstrategien entwickeln, um gesunde Lebensverhältnisse im Sinne eines Generationenvertrags zu erhalten. 

Aufzuzeigen, dass eine kluge Urbanisierung für alle ein Gewinn ist und nicht Verzicht, ist zentrale Aufgabe der IBA 2027. Architektur muss ein starker Motivator für das ökologische Umdenken sein.

Wir beantragen daher, das Nürtinger Kompetenzzentrum Gebäudebegrünung und Stadtklima e.V. als Expertennetzwerk zu laden, um Wege aufzuzeigen, wie der Verband die Kommunen unterstützen kann, die Herausforderung des Klimawandels zu meistern. Es gilt die grünen Lungen in unseren Städten zu stärken, ihre harte Hülle aufzubrechen, Hitzestress vorzubeugen und die gebaute Umwelt so zu transformieren, dass Städte bewohnbare und lebenswerte Orte bleiben.

Wesentlich ist hier die Transformation von der autogerechten Stadt zu einer neuen Mobilitätskultur: klimaneutral, umweltschonend und menschenfreundlich. Wer sich heute noch an die Automobilität von gestern klammert und die schnelle Realisierung eines Nord-Ost-Rings beschwört, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Manche Kolleg*innen mögen von einem zweiten S-Bahn-Stammast träumen, wir stehen für realistische Maßnahmen. Zentral für die Fraktion DIE LINKE/PIRAT ist die schnelle, kostengünstige Reaktivierung bestehender Tangentialverbindungen zur Entlastung der störanfälligen S-Bahn-Stammstrecke. 

Dazu beantragen wir ein Betriebskonzept zur vollständigen Reaktivierung der Schusterbahn zwischen Plochingen und Bietigheim. Zahlreiche Untersuchungen seit 2002 bestätigten das Potential.

Die zweite Tangentialverbindung, deren Reaktivierung wir anstreben, ist die Panoramabahntrasse zwischen Zuffenhausen und Stuttgart-Vaihingen. Eine Express-S-Bahn kann angesichts des zu erwartenden Zustroms von Pendlern durch Unternehmensansiedlungen im Synergiepark Vaihingen entlastend wirken. Mittelfristig wollen wir weitere Haltepunkte, wie den Westbahnhof Stuttgart, als multimodale Knoten reaktivieren.

Für jede ernsthafte Planung des ÖPNVs bedarf es belastbarer Zahlen. Hierzu beantragen wir erneut eine Verkehrsstromanalyse und die Erhebung des gegenwärtigen Modal Split, denn zehn Jahre alte Zahlen sind keine seriöse Entscheidungsgrundlage.

Klar ist auch: Der Tarifzonenreform muss eine tiefgreifende Tarifreform folgen. Anknüpfend an den großen Erfolg in Wien beantragen wir zur Lichtung des Tarifdschungels die Verschmelzung bestehender Sondertarife für Schüler*innen, Auszubildende, Studierende, Senior*innen und Bezieher*innen von Hilfeleistungen zu einem einheitlichen 365-Euro-Jahresticket. Eine starke Marke mit Signalwirkung.

Im Sinne der Familienfreudlichkeit fordern wir die kostenfreie Mitnahme von Kindern und Jugendlichen bis einschließlich 14 Jahren mit Eltern bzw. anderen Betreuungspersonen, wie es die Bahn bereits heute handhabt.

Fairness ist für DIE LINKE/PIRAT ein zentrales Thema. Der Verband muss seinen gesetzlichen Pflichten zur Einhaltung der Tariftreue bei den in regionaler Aufgabenträgerschaft operierenden Busunternehmen nachkommen. Lohndumping im VVS müssen wir unterbinden!

Hoffnungsvoll stimmt uns die Begeisterung für das Fahrradfahren. Der Erfolg des Radschnellwegs im Landkreis Böblingen zeigt, wie wichtig gute Radinfrastruktur ist. Wir regen daher die Ausrichtung eines regionalen Radschnellwegegipfels an, um im Wege der Angebotsplanung ein Radschnellwege-Netz zu schaffen und Qualitätsstandards zu definieren. Denn Radverkehr ist gesund, macht glücklich und bringt Menschen umweltfreundlich in Bewegung. Ein strategischer Baustein für klimaneutrale Mobilität und urbane Logistik.

Seit Jahren sind LINKE und PIRATEN in der Regionalversammlung Impulsgeber für die Lösungen der Zukunft:

Von der Mobilitätskarte, die im Projekt POLYGO aufgegangen ist und nun als multimodale Mobilitätsplattform in die Weiterentwicklung geht, über nachhaltige Stoffkreisläufe durch Cradle to Cradle, als Thema der IBA gesetzt, dem regionalen Kompensationsflächenmanagement, im Forschungsvorhaben RAMONA angepackt, bis hin zur VVS-Tarifzonenreform, die eine deutliche Senkung der Ticketpreise bewirkte oder der Neufassung des S-Bahn-Vertrags mit erheblich höheren Pönalen für Schlechtleistungen der Bahn: Die Initiativen kamen stets von unserer Fraktion. 

In diesem Sinne werte Kolleg*innen, stimmen Sie einfach öfters den Anträgen meiner Fraktion zu, dann kommt was g`scheits bei raus.