Rede zur Haushaltserwiderung

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Rede von Christoph Ozasek zur Haushaltseinbringung in der Regionalversammlung Stuttgart am 26.10.2016.

Regionalversammlung Stuttgart, 26.10.2016

Rede zur Haushaltserwiderung


(Christoph Ozasek, Fraktion DIE LINKE)


Herr Vorsitzender,
Frau Regionaldirektorin,
werte Kolleginnen und Kollegen,

wussten Sie, dass es 2.000 Jahre dauert, bis durch Erosion, chemische und biologische Prozesse aus hartem Gestein eine nur 10-Zen9meter dicke Schicht fruchtbaren Bodens entstanden ist? Ohne diesen Boden gäbe es kein Leben. Sie ernähren uns, sind Grundlage für den Artenreichtum, und sie tragen unsere Infrastruktur.

Boden ist eine sensible und leicht zerstörbare Ressource. Einmal verdichtet und versiegelt sind die Bodenfunktionen zerstört. Und der Flächenfraß schreitet unaufhörlich voran, an Böden höchster Fruchtbarkeit. 2015 riefen die Vereinten Nationen das „Jahr des Bodens“ aus, um auf den rasanten Verlust unserer Lebensgrundlage hinzuweisen.

Doch Bauland wird stark nachgefragt. Auf steigende Bodenwerte wird seit einigen Jahren massiv spekuliert. Mieten und damit Lebenshaltungskosten steigen ins Unermessliche. Wohnungsnot ist die Folge - auf die weder der Bund noch das Land eine Antwort geben. Die Landesregierung strebt nach eigenem Bekunden langfristig das Nullflächenwachstum an, lässt jedoch nur geringe Anstrengungen erkennen. Der Kanton Zürich geht entschiedener vor: Per Volksentscheid ist der Stop des Flächenwachstums bereits jetzt Realität, und das bei anhaltendem Bevölkerungszuwachs.

Im Verlauf des letzten Jahres wurde im Austausch mit Experten deutlich, dass eine maßvoll erhöhte Siedlungsdichte kein Widerspruch zu hoher Lebensqualität ist, sofern die städtebauliche, funktionale und architektonische Qualität sicherstellt wird. DIE LINKE beantragt daher eine Anhebung der Bruttowohndichtewerte im Regionalplan, von der Eigenentwicklergemeinde bis zum Wohnbauschwerpunkt. Denn eine polyzentrische Stadtregion ist nur dann für die Zukunft gerüstet, wenn das Wachstum nicht die Böden aufzehrt, sondern durch qualitätsvolle Dichte Wohnplätze aufgewertet und die Lebensqualität vor Ort verbessert wird.

Im Planungsbereich setzt auch unser Antrag zur Erstellung einer Gefährdungskartierung für zunehmende Starkregen- und Hochwasserereignisse an. Ziel ist es, durch frühzeitiges Erkennen von Gefahren Schäden zu verringern, und örtliche Gefahrenkarten zu einem regionalen Planungsinstrument zu verschnüren, um die Widerstandskraft der Region gegenüber dem fortschreitenden Klimawandel zu stärken.

Während andere europäische Hauptstadtregionen wie Helsinki, Oslo, Kopenhagen, Wien, Paris oder London die Zeichen erkannt haben und gezielt auf umweltschonende öffentliche Verkehrsmittel setzen, Straßen zurückbauen, Innenstädte autofrei gestalten, verharrt die Region Stuttgart in der Automobilabhängigkeit.

Dem Stau wird Straße hinterhergebaut, die tägliche Blechlawine türmt sich höher und höher, Kfz-Zahlen und gemarkungsübergreifende Autoverkehre erreichen neue Höchststände. Bis heute wird in der Debatte um den Regionalverkehrsplan ausgeblendet, dass die 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans der Landeshauptstadt verkehrsbeschränkende Maßnahmen umsetzen wird, der Autoverkehr in der Region um 20 % sinken muss, und ab dem 01.01.2018 Fahrverbote in Stuttgart zu verhängen sind. Wirklich problemlösend wirken Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs in der Fläche und die bessere Anbindung der Wohnplätze. Unser Antrag zur Prüfung von „Bus on Demand“-Lösungen in Anknüpfung an laufende Pilotprojekte der Max-Planck- Gesellschaft und des Instituts für Luft- und Raumfahrttechnik, setzt hier einen Impuls zur Angebotsverbesserung in Nebenzeiten und unzureichend erschlossenen Gebieten.

Die Initiative hat zum Ziel, durch digitale Vernetzung der Fahrzeuge und Bedarfshaltsignalisierung ein durchgehendes Angebot zu schaffen, das den Lebensrealitäten und dem Puls einer Großstadtregion Rechnung trägt.

Um den Nutzergrad zu steigern und bedarfsdeckende Mobilität für Menschen am Existenzminimum zu ermöglichen, beantragt die Fraktion DIE LINKE auch in diesem Jahr das VVS-Sozialticket. Unser Finanzierungsmodell der "stichtagsorientierten Abmangelfinanzierung“ ermittelt verlässlich die finanzielle Belastung der Aufgabenträger, und führt bei wachsenden Nutzerzahlen nicht wie andere Modelle zu unkalkulierbar steigenden Kosten sondern zu einer Reduzierung der öffentlichen Mitfinanzierung. So profitieren mittelfristig der VVS und die Nahverkehrsunternehmen davon, dass bisher mobilitätseingeschränkten Menschen Teilhabe garantiert wird. In allen Kreistagen der Region läuft die Debatte um das Sozialticket und die hohen VVS-Ticketpreise. Runde Tische und Initiativen drängen auf Lösungen. 20.000 Menschen nutzen Monat für Monat in Stuttgart die rabattierten Bonuscard-Tarife. Auch die Einführung eines Sozialtickets im Filslandverbund ist ein wegweisender Schritt.

Impulse setzen wir auch im Bereich der S-Bahn. Auf Antrag der LINKEN erfolgt nun endlich eine Machbarkeitsstudie zur Bedienung der Panoramabahnstrecke. Eine weitere Tangentialbahn „S20“ schlagen wir für die Strecke Vaihingen-Filderstadt vor, um das Nadelöhr der Stammstrecke zu entlasten und die Bedienung auf den Fildern zu verbessern. Aus unserer Sicht ist aber auch klar, dass zügig eine machbare Variante für die Durchbindung der S-Bahn ins Neckartal eruiert werden muss.

Was das Projekt Stuttgart 21 anbelangt - das neben anhaltendem Verkehrschaos, großflächiger Baumrodung und einer Kostenexplosion auf 10 Mrd. Euro keinen Nutzen bringt - so fordern wir ein Umsteuern auf Grundlage des Alternativkonzepts „Umstieg 21“. Es ermöglicht bei einer Kostenersparnis von 6 Mrd. EUR nicht nur einen weit leistungsfähigeren Bahnknoten, sondern schafft Raum für ein sofort bebaubares Wohnquartier.

Im Güter-Schienenverkehr werden gezielt Kapazitäten von der DB abgebaut, Güter auf LKWs verlagert und damit mehr Luftschadstoffe, Staus und Straßenschäden produziert. Die Regionalversammlung schloss sich hier im Sommer ausdrücklich unserer verschärften Resolution gegenüber DB Cargo an, ihre Stilllegungspläne zurückzunehmen. Mit unserem Antrag auf systematische Erfassung noch verbliebener Industriegleise in der Region wollen wir die Grundlage für eine künftige Revitalisierung des Güterschienennetzes schaffen. Jedoch ist nichts essentieller zur Bewältigung der Verkehrsströme als eine verlässliche S- Bahn. Hier ist die DB als Nutznießerin von Nettoverträgen mehr Hindernis als Helfer.

Veränderungswille ist nicht erkennbar, wie kürzlich bei der Debatte um das ETCS erneut deutlich wurde. So sehr, dass wir uns Anfang Oktober gezwungen sahen, die Prüfung einer vorzeitigen Kündigung des laufenden S-Bahnvertrags wegen Schlechtleistung zu beantragen. Als Regionalräte obliegt uns die Aufgabenträgerschaft für die S-Bahn - und damit auch die Verantwortung, der DB klar und deutlich die Rote Karte zu zeigen.

Da bis heute mehrere beschlossene Anträge unserer Fraktion nicht abschließend bearbeitet bzw. umgesetzt sind, u.a. die ökofaire Beschaffung, der Beitritt zur kommunalen Einkaufsgenossenschaft, das Kooperationsnetzwerk „Virtuelles Kraftwerk“, die Prüfung von Klimasimulationsmodellen oder der regionale Kompensationsflächenpool, haben wir in diesem Jahr die Zahl neuer Anträge deutlich reduziert. Für uns ist aber klar, dass für die komplexen Aufgaben der Regionalverwaltung eine ausreichende Personalausstattung gewährleistet sein muss. Die nun anlaufende Debatte über Organisationsausbau und Personalstellen muss der Realität einer gestiegenen Bedeutung des Verbands Rechnung tragen.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen fruchtbare Gespräche in den kommenden Wochen, und freue mich auf wegweisende Impulse aus allen politischen Lagern.